Heft 
(2024) 118
Seite
79
Einzelbild herunterladen

Innstettens Angst vor dem Chinesen Siemsen 79 Chinese sei eine Art»Verstärker in einem ›Angstapparat‹« 35 , aber»im Grunde bloß ein Gruseleffekt« 36 , eine bildliche Verdichtung all der realen Manipulationen und Mängel an Menschlichkeit, denen Effi ausgesetzt sei. 37 Dass Innstetten der Hauptverantwortliche für»Angstapparat« und»Gruse­leffekt« ist, darf wohl, auch ohne ausdrückliche Nennung bei Wegmann, ergänzt werden. Sophia Wege überträgt in ihrer jüngst erschienenen um­fang- und aspektreichen Studie zu Fontane und Schopenhauer 38 die Be­griffsrelationen der Schopenhauerschen Philosophie auf die Figurenkons­tellationen in Effi Briest . 39 Die Polarität von Wille und Vorstellung wird in die Themenbereiche des Romans übersetzt und von hier aus den Figuren zugeordnet.»An der Textoberfläche von Effi Briest gestaltet sich die philo­sophisch grundierte Polarität zwischen Intellekt und Wille als Kampf zwi­schen Vorstellungen von gesellschaftlicher Ordnung, Pflicht und Ehre auf der einen Seite, und Natur, Freiheits- und Geschlechtstrieb auf der ande­ren.« 40 Damit ist die Rollenzuweisung an Innstetten gegeben: Er ist der emotional kalte Vertreter der rationalen Vorstellungen, 41 der das Willens­wesen Effi mit Hilfe des Chinesenspuks kontrollieren und disziplinieren will:»Innstettens Funktionalisierung des Spuks als Angstinstrument liegt also von vornherein auf dem Tisch« 42 , so Weges Verständnis des ersten Ge­sprächs zwischen Innstetten und Effi über den Chinesen bei der Ankunft in Kessin. 43 Im Ergebnis mündet also auch Weges Interpretation in das Fahr­wasser der Crampas-Deutung. Zusammenfassend ergibt sich, dass alle hier kursorisch vorgestellten Untersuchungen darin übereinkommen, dass Innstetten den Chinesen zum Assistenten oder Komplizen für seine Mani­pulations- und Einschüchterungsarbeit macht. 2. Der Chinese als Leidensgenosse Innstettens Demgegenüber relativieren Martin Todtenhaupt 44 und Dieter Krohn 45 das Paradigma vom berechnenden und gefühlskalten Manipulator Innstetten; Todtenhaupt, indem er die Selbstverständlichkeit, mit der Innstetten als strategischer Drahtzieher des Chinesenspuks betrachtet wird, in Frage stellt 46 , und Krohn, indem er, wie eingangs schon ausgeführt, starke Gefüh­le hinter Innstettens Duellentscheidung ausmacht: emotionale Verletztheit, Rachebedürfnis und die Angst, sich lächerlich zu machen, die für Ingrid Schuster 47 Innstettens abwehrende Haltung zu Effis Liebeswünschen be­stimmt. Sie leitet das aus der einstigen Zurückweisung seiner Gefühle für Luise ab, in der er nur die Blamage des zurückgewiesenen Dritten und die damit verbundene Lächerlichkeit wahrgenommen habe. 48 Im Chinesen mit seinem parallelen Dreiecksverhältnis zu Nina und zum Kapitän erkenne Innstetten seine»eigene Vergangenheit« 49 , sodass ihm der Chinese zur kommunikativen Codierung 50 seines Gefühlsverzichts diene 51 . Renate