Heft 
(2024) 118
Seite
90
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90 Fontane Blätter 118 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte (EB, S. 77) Und der Erzähler fasst schon zu Beginn des zweiten Jahres kurz und bündig zusammen:»Innstetten war lieb und gut, aber ein Liebhaber war er nicht. Er hatte das Gefühl, Effi zu lieben, und das gute Gewissen, daß es so sei, ließ ihn von besonderen Anstrengungen absehen.«(EB, S. 119) 95 Fontane gibt im Text Hinweise, dass dieses Liebes- und Beziehungsversa­gen der Kollateralschaden seiner forcierten gesellschaftlichen Etablierung ist. Vom jungen Innstetten nämlich, der in Luise verliebt war und sie um­warb, hatte Luises Bruder offenbar noch einen ganz anderen Eindruck, mit dem Effi Innstetten konfrontiert:»›Du bist eigentlich, wie der Schwantiko­wer Onkelmal sagte, ein Zärtlichkeitsmensch und unterm Liebesstern ge­boren, und Onkel Belling hatte ganz recht, als er das sagte. Du willst es bloß nicht zeigen und denkst, es schickt sich nicht und verdirbt die Karriere.« (EB, S. 143) Aber nach 19 Jahren gesellschaftlichen Aufstiegs sagt Briest im Gespräch mit Luise fast das Gegenteil über ihn:»›Denn bei all seinen Vorzü­gen, er ist nicht der Mann, sich diese[Effis] Liebe mit leichter Manier zu gewinnen.«(EB, S. 42) 96 Damit hätte Innstetten selbst die Ursache dafür geschaffen, dass er im Effi-Crampas-Dreieck erneut in die»Werther-Chinesen«-Position geraten ist. Ironischer- und tragischerweise als Folge genau der gesellschaftlich ausgerichteten Strategie, mit der er seiner ersten Chinesen-Position im Lu­ise-Briest-Dreieck entkommen konnte. Mit dem Duell wiederholt Innstetten das vor 28 Jahren erfolgreiche Bewältigungsmuster für die nun wiederhol­te»Werther-Chinesen«-Position er wählt wieder eine gesellschaftlich aus­gerichtete Reaktionsform. Dafür biegt er die innerpersönliche Ursache, nämlich sein Liebes- und Beziehungsversagen, in das gesellschaftliche Pro­blem der»Ehre« um, für das ihm dann die gesellschaftliche Lösungsform des Duells zur Verfügung steht. Weil aber seine erneute»Werther­Chinesen«-Position diesmal keine gesellschaftliche Ursache hat, läuft das Duell als eine gesellschaftliche Lösungsform für dieses Problem ins Leere. Es ist in der Tat sinnlos. Die Erörterungen gegenüber Wüllersdorf im 27. Kapitel und seine eigenen über die Unzeitgemäßheit, inhaltliche Entker­nung und leere Konventionalität des Duells im 29. Kapitel sind die argumen­tativen Rationalisierungen für diesen Grundwiderspruch von Innstettens Reaktion auf seine wiederholte»Werther-Chinesen«-Position. Das Duell be­seitigt nicht deren Ursache und lässt ihn deshalb auch nicht aus ihr entkom­men. Es legt ihn, mit der Tötung Crampas´ und der Verstoßung Effis, im Gegenteil unumkehrbar auf die gefürchteten Folgen der Chinesen-Position fest: dem vollständigen und desaströsen Scheitern seiner Liebes- und Glücksambitionen. Zwar widerfährt Innstetten nicht der gesellschaftliche Tod Ninas da­vor hat ihn das gesellschaftlich akzeptierte Duell bewahrt und auch nicht der existenziell-physische Tod des Chinesen und Werthers. Aber er hat jede Aussicht auf zukünftiges Lebensglück verloren. Das Gespräch mit Wüllers-