Heft 
(2024) 118
Seite
155
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Epistolo/Graphie»Die bloße Macht des Raums« Baillot 155 sprengt würden. Kern des Arguments Gablers ist, dass Fontane seine eige­nen Briefe wie Karten konzipiert(daher der Titel dieses Kapitels:»Karto/ Graphie«). Obwohl das Argument teilweise etwas forciert scheint(und Ge­genbriefe unberücksichtigt lässt, wodurch alle epistolaren Beziehungen gleichgestellt werden), wird damit zu Recht die Inkarnation der bzw. des Abwesenden durch den Brief selbst in den Vordergrund gerückt, und damit die doppelte Präsenz im entfernten Raum und im Papierraum(vgl. insbes. S. 182 ff.). Die folgenden Seiten von Gablers Monographie nehmen eine Rei­he von Briefen Fontanes chronologisch in den Blick, beginnend mit einem Brief an Lepel vom 27. Juli 1846. In Anlehnung an den Philomela-Mythos aus Ovids Metamorphosen wird suggeriert, wie der Lepel-Brief eine Theo­rie der brieflichen Kommunikation enthält. Der textilartige Brieftext aktua­lisiere sowohl im Ovid schen Mythos als auch im Brief an Lepel die struktu­rierende, konstitutive Rolle der Materialisierung der Kommunikation im Brief. Laut Gabler steht für Fontane fest,»dass der Brief ein von seinen to­pographischen Strukturen her zu denkendes Medium ist, weil die recht­eckige Fläche des brieflichen Textils von den Lineaturen auf den Papieren, den parallel und über Kreuz arrangierten Schriftzügen, allererst konstitu­iert wird«(S. 186–187). Im Mittelpunkt der darauffolgenden Analysen steht das Beschriftungsarrangement Fontanes in seinen Briefen: der Hauptteil rechtsbündig, mit Zusätzen an den Rändern, die von der Leserin bzw. vom Leser erfordern, dass sie bzw. er den Brief mehrmals um 90 Grad dreht, um den Text in der beschriebenen Reihenfolge zu lesen. Gabler fügt schemati­sche Leseanleitungen hinzu(S. 200 und 231), die diese Bewegungen konkret rekonstruieren helfen. Damit wird auch das Argument anschaulich, dass der Brief eine Abwesenheit materialisiert, entscheidet doch der Briefschrei­ber Fontane , wie sich die Rezipientinnen bzw. Rezipienten seiner Briefe zum Stück Papier zu verhalten haben, das er ihnen zusendet weit über das ein­fache Blättern hinaus. Anhand einiger Beispiele wird sehr feinfühlig ge­zeigt, wie intime Themen»in den Rändern« besprochen werden(S. 201). »Diese Schriftareale verkörpern soziale Skripte(...) räumlich«, heißt es, um die Ähnlichkeit mit der Karte zu besiegeln. Die folgenden Analysen befassen sich mit zwei Briefbeispielen, die an­schaulich machen, wie es Emilie Fontane gelingt, sich in dieser Kartogra­phie strategisch zu verorten. Dieser Teil der Untersuchung stellt ein diskre­tes Pendant zur Korrespondenz von Achim und Bettina von Arnim im zweiten Kapitel der Monographie dar, bei der der Fokus zwar stark auf der erotischen Arbeit an den materiellen Konventionen der Briefkommunikati­on liegt, dennoch letztlich auch damit zu tun hat, wie Gender-spezifisch Korrespondenzrollen sind und welche Strategien Frauen in diesem Raum einsetzen können, um ihre Position zu behaupten. Im Laufe der Lektüre wird klar, welche zentrale Rolle die Aneignung sozialer und intellektueller Codes dabei spielen. Bei den Schritt für Schritt aufeinander folgenden Ana-