Heft 
(2024) 118
Seite
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156 Fontane Blätter 118 Rezensionen lysen wird die Hypothese der besonders großen Rolle, die die Materialität von Briefen in der Kommunikation spielt, auch plausibel. Auf Barthes Fragmente einer Sprache der Liebe zurückgreifend, geht Gabler darauf ein, wie die Hand der Adressatin bzw. des Adressaten im Gestus des Briefkommunikation mit eingeschlossen ist(S. 233). Er charak­terisiert die»Momente taktiler Kontakte« in Briefen als solche, in denen »die Körper der Korrespondierenden zum Drehen und Wenden der Schrift­stücke und damit zu fortwährend unterbrochenen und stetig erneuerten Kontaktnahmen« veranlasst werden(S. 235). So erstreckt sich die»Skriptu­ral-Aisthetik« von dem als Karte konzipierten Artefakt Brief bis hin zur Hand seiner Leserin bzw. seines Lesers. Während Gablers Analysen die Plastizität des Briefes als Artefakt zum Gegenstand haben, geht der Sammelband Die Geschichtlichkeit des Briefs der Historizität des Mediums expliziter nach. Aber auch hier wird Brief­kommunikation als eine Kulturtechnik präsentiert, die soziale Distanzen in ein»Alltagsobjekt, das dem zeitlich zerdehnten schriftlichen Austausch zwischen räumlich getrennten Personen dient«(S. 9) materiell reflektiert. Eine Reihe von Beiträgen befassen sich auch mit der Haptik der brieflichen Mitteilung(etwa Isabelle Stauffer zum Billet, Ulrich Breuer und Anke Lin­demann zum langen Brief). Siebzehn chronologisch geordnete Beiträge fol­gen auf die gründliche Einleitung. Mal als Fallstudie angelegt, mal als Überlegung zur Briefpraxis einer ganzen Epoche kommen die Beiträge auch immer wieder auf die einführend erwähnte Spannung zwischen Werkpolitik und Korrespondenzpraxis zurück. Ein zentraler Ansatz in Anlehnung an die Tagung, aus der der Sam­melband hervorgeht ist dabei die Thematisierung des Verhältnisses zwi­schen Nähe und Distanz in der Briefkommunikation. Gideon Stiening zeigt, wie Briefe»die kulturelle Bedingtheit von Nähe und Distanz dokumentieren«(S. 218) ein Aspekt, der ebenfalls bei Sophia Wege zum Tragen kommt. In evolutionistischer Perspektive die Funktion von Briefen betrachtend, schreibt sie:»Brieflesen ist Spurenlesen«(S. 29). Schreibräume und ihr Verhältnis zueinander werden in diesem Zusam­menhang besprochen. Interessanterweise kommt auch Jana Kittelmann zu einer kartographischen Prämisse zurück, wenn sie auf das Zimmer eingeht, von dem aus Fontane an Lepel schreibt, um auf die Durchlässigkeit von In­nen und Außen hinzuweisen(S. 117). Jochen Strobel und Eva Lia Wyss gehen methodisch einen Schritt weiter in der Formalisierung von Nähe und Distanz und stellen Ansätze der Netz­werkvisualisierung bzw.-rekonstruktion dar, wobei Strukturmerkmale un­terschiedlicher Kommunikationsmedien miteinander verglichen werden. Historische Variation wird in Beträgen thematisiert, die sich mit einem Vergleich zwischen klassischer Briefkommunikation und neuen Kommuni­kationsmedien befassen, zum Beispiel bei Yulia Mevissen, wobei das Gel-