Heft 
(1965) 2
Seite
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Stelle hatten die Maler mit sträflichem Leichtsinn mehrere Korbflaschen voll Terpentin aufgestellt. Die Behälter hatten sich nach und nach stark erhitzt und waren schließlich in die Luft geflogen. Nun schoß die bren­nende Flüssigkeit in allen Richtungen durch das frisch gefirniste Schiff, und das Feuer brach sofort durch das Promenadendeck. Der starke Wind tat das Übrige; in wenigen Augenblicken stand dieErie in Rauch und Flammen.

Der Kapitän, Thomas J. Titus, änderte alsbald den Kurs, um auf kürze­stem Wege Land zu erreichen. Zahlreiche Frauen drängten sich um Hilfe schreiend auf dem Vorderschiff zusammen; doch schon während der näch­sten Minuten verbrannten oder erstickten eine Anzahl von Menschen an Bord. Die übrigen sprangen ins Wasser vielfach mit brennender Klei­dung und ohne Schwimmwesten, da an diese nicht mehr heranzukommen war. Fast alle ertranken. Es waren nicht annähernd genug Rettungs­boote vorhanden, angeblich nur drei; eins von diesen konnte nicht mehr heruntergelassen werden, und die beiden andern kenterten. Wie später betont wurde, hätte selbst ein Vorrat einfacher Planken viele Menschen­leben retten können, aber auch daran fehlte es. Als gegen zehn endlich ein andres Schiff, dieDe Witt Clinton, das qualmende Wrack derErie er­reichte, konnten nur noch 27 Personen, darunter eine einzige Frau, ge­rettet werden. Später bargen kleinere Schiffe noch wenige andre Über­lebende, die sich an treibenden Holzstücken festgehalten hatten.

Von der Mannschaft kamen einige davon, darunter Kapitän Titus sowie von den drei Steuerleuten die zwei, die zu Beginn des Brandes keinen Dienst hatten, Jerome Mc Bride und James Lafferty. Dagegen fiel der zweite Ingenieur John Allen, bei dem Versuch, die Maschine in Gang zu halten, in die Flammen und kam um. Der diensthabende Steuermann endlich, ein Mann namens Luther Fuller aus der Gegend der Stadt Erie,

blieb pflichttreu auf seinem Posten und fand dort seinen Tod.

Fullers Name steht unter vielen anderen in der zweiten Verlustliste der Lokalpresse. Vor der Kommission, die in den folgenden Tagen das Un- gl ück untersuchte, erklärte Kapitän Titus, er selbst wäre als letzter von Bord gegangen, und fuhr dann fort:Meines Wissens hat Fuller das Steuerrad nicht verlassen, sondern ist dageblieben, bis er zu Tode ver­brannte. Er war schon immer ein entschlossener Mann, wenn er Befehle auszuführen hatte. Wir kennen Fullers Charakter und sein Ende nur aus diesen dürren Mitteilungen; aber hier liegt wie wir sehen werden,

der Kern der Legende von John Maynard 7.

Über die späteren Schicksale der genannten Überlebenden ist rasch berich- tet. McBride erlag schon nach wenigen Tagen seinen Brandwunden. Titus kommandierte, wie uns das Adreßbuch von Buffalo unterrichtet, im näch- sten Jahr bereits einen andern Dampfer. Lafferty lebte noch viele Jahre, ka m nach und nach gänzlich herunter, und verbrachte seinen Lebens- abend in Erie, wo er als stadtbekannter Trunkenbold bettelnd mit einer Geige von Kneipe zu Kneipe zog. Am 22. November 1900 starb er, etwa 87 Jahre alt, bei Erie im Kreisarmenhaus (county almshouse) 8.

Soweit die nachgewiesenen Tatsachen. Lange Jahre nach der Katastrophe jedoch wurden Anwürfe auf Luther Fullers Gedächtnis laut, die bis heute nicht verstummt sind. Den Anlaß hierzu gab ein gewisser Andrew

W . Blila, seines Zeichens Zimmermann in Erie. Blila soll im Jahre 1912 als hochbetagter Mann erklärt haben, Fuller wäre nicht auf dem brennen­den Schiff umgekommen, sondern hätte sich im letzten Augenblick ge­rettet, später unter falschem Namen ein schlimmes Leben geführt, eine

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