Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1909) Die Natur / von G. Schwalbe ...
Entstehung
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schon im herbst des ersten, manchmal im Laus des zweiten Lebensjahres. Das zweite Gehörn hat deutliche Rosen. Erst beim dritten Gehörn treten normale Zeiten des Abwerfens (herbst, Vorwinter) und Aufsetzens (Winter) ein. Als Bedingung für eine gute Gehörnentwicklung gelten: Vorhandensein eines Embryo, eine gut säugende Ricke, gute Äsung, lange Lebensdauer. Böcke, die erst mit bis s8 Monaten zu schieben anfangen, werden nie gute Gehörne tragen; manche schieben im 9- bis 12. Lebensmonat Spieße, andere tragen schon im zweiten Lebensjahre gute Spieße oder leidliche Sechsergehörne. Auch in anderer Beziehung zeigt das Reh Sonder­heiten. Bekanntlich gehört es zu den Paarzehern, d. h. es trägt an jedem Bein (Lauf") vier Zehen, von welchen die beiden mittleren stark entwickelt sind und allein auf den Boden auftreten, während die beiden seitlichen Zehen weit schwächer und so hoch eingelenkt sind, daß sie den Boden nicht berühren können. Nun besitzt die zoolo­gische Sammlung der Horstakademie Eberswalde zwei Exemplare, bei welchen die Aehenzahl an den einzelnen Läufen verschieden ist, und zwar von fünf in regelmäßiger Holge bis auf zwei herabgeht. Das betreffende Reh hat an einem Lauf fünf Zehen, d. h. eine zu viel, nämlich den in der Regel fehlenden Daumen, an dem zweiten hat es die normale Aehenzahl vier, am dritten fehlt eine der kleineren Zehen, am vierten fehlen eine kleine und eine große Zehe. Berücksichtigt man ferner die interessante Entwicklung des Embryos, welcher erst sechs Monate nach der Brunstzeit sich zu bilden beginnt und den Umstand, daß sich die Rehe im Dezember häufig so benehmen, wie in der Blattzeit im Sommer, sowie endlich die regelwidrigen Setzzeiten, die normal in den späten Mai oder die ersten Zunitage fallen, aber auch im Spätherbst eine Ricke, die bei der Geburt eines Ritzes am s5. November sstO? eingegangen war, er­hielt ich wenige Tage darauf beobachtet werden, so wird man zu dem Schluß kommen, daß das Reh wie kaum ein anderes in der Mark heimisches Tier in der Jetztzeit uns die Vorgänge erkennen läßt, welche mit allen Tierarten Im Laufe langer, sehr langer Zeiträume vor sich gehen und durch Konstantwerden einzelner auf ähnliche Weise erworbener Eigenschaften zur Entstehung neuer Arten führen müssen.

Neben Hasen und Kaninchen tut das Reh und Rotwild in märkischen Wal­dungen bedeutenden Schaden, und zwar alle durch Verbiß, d. h. dadurch, daß sie forstliche Kulturpflanzen, soweit sie dieselben erreichen können, zumal im Winter, an ihren Zweigen und Knospen, Trieben und Nadeln befressen (verbeißen"). Um das Wild am Verbeißen der Wipfeltriebe junger Nadelhölzer zu verhindern, werden diese im herbst in verschiedenartigster Weise geschützt. Man beschmiert sie mit Stink­mitteln (Hranzosenöl), schützt sie durch Bestreichen mit Kalk, umwickelt sie mit spitzigen Metallstücken oder mit Hede u. dgl. m. Reh, Dam- und Rotwild schaden ferner dadurch, daß sie die haut (Bast), mit welcher das neugebildete Geweih

überzogen ist, an jungen Stämmchen abreiben (fegen), hierbei befreien sie nicht nur ihr Geweih vom Bast, sondern reiben auch die Rinde des benutzten Stämmchens ab, so daß dieses bald vertrocknet. Das Rotwild schadet ferner durch Schälen, d. h. Ab­äsen der Rinde. Wenn auch das Schälen eine im Laufe der Zeit erworbene, dem Horstmann sehr unangenehme Angewohnheit vorwiegend auf die Hichte beschränkt