Teil eines Werkes 
Bd. 3 (1912) Die Volkskunde / von Robert Mielke [u.a.]
Entstehung
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hinaus gepflügt, dann erfolgt eine öffentliche Rüge, unter Umständen eine Strafe und Berichtigung der Grenze. Ist in dieser Art die ganze Grenze geprüft und richtig gestellt, so werden wieder wechselseitig und unter Innehaltung eines alten Zeremoniells die Frauen der eingeladenen Gemeinde besonders geladen und geholt. Jeder Bauer kehrt mit seiner Frau bei seinem Grenznachbarn oder Bekannten ein, um Raffer und Rüchen zu genießen und einen Spaziergang über die Feldmark zu machen, während die Frau das Essen bereitet. Ein Tanz im Wirtshaus oder auch in einem Bauernhaus, der nur durch den Abendimbiß bei dem Gastfreunde unterbrochen wird und oft bis zum frühen Morgen währt, beschließt den Grenzgang. Das getrunkene Bier oder der Schnaps wird von beiden Gemeinden bezahlt.

An anderen Stellen schloß sich noch eine Besichtigung der Feuerstellen, der Feuer­löschgeräte, Brücken, Gräben und anderer Einrichtungen an, um die Sicherheit des Eigentums auch nach dieser Seite hin zu gewährleisten. Von der aus einigen Gegenden Deutschlands berichteten Gewohnheit, die Dorfjugend zu prügeln, um ihr die Grenze recht eindringlich ins Gedächtnis zu schreiben, ist in Brandenburg wenig bekannt ge­worden (S. iöO), nur wird erzählt, daß ein neuer Besitzer auf den Grenzhügel gesetzt wurde.

Die Grenzzüge haben sich in ihrer dörflichen Form noch bis in unsere Tage hinein erhalten, wenn auch die Gebräuche etwas verwaschen sind?) Aber auch in den Städten waren sie allgemein verbreitet, bis sie Friedrich Wilhelm I. durch Streichung der dafür in den Stadtrechnungen angesetzten Ausgaben aufhob und regelrechte Rataster anzulegen befahl. An dem dazu bestimmten Tage in Strausberg fiel er auf Walpurgis, den altgermanischen Frühlingstag fl. Mai) versammelte sich die Bürgerschaft auf den

h Ein Bericht in der Deutschen Tageszeitung lAOH (Nr. 2S>) schildert den nach zehn­jähriger Pause wieder stattgefundenen Grenzgang zwischen Bergholz und Grubo folgender­maßen:

Die Besitzer von Bergholz und Grubo brachen in früher Morgenstunde auf, um sich auf der Gemarkung RabenGrubo Bergholz zu treffen. Nach der Vereinigung um 7 Uhr ging's zum ersten Grenzhügel, der von drei mit Spaten versehenen Großspännern erneuert und von drei anderen mit Schippen ausgerüsteten geglättet wurde. Jede Gemeinde hatte die ihrer Grenze entgegengesetzte Seite aufzufrischen, während Nusikklänge ertönten. Waren zwei Hügel in Stand gesetzt, so wurde die dazwischen liegende Grenze genau visiert. Ergab sich, daß ein Besitzer übergeackert hatte, so wurde er in Strafe genommen. Befand sich ein neuer Besitzer im Zuge, so wurde er auf den Hügel gesetzt, damit er sich die Grenze genau merke. Zog sich die Grenze durch die Heide, so trat ein mit einer Axt bewehrter Knecht in Tätigkeit, indem er unnachsichtlich jeden Zweig, der sich über die Grenze wagte, entfernte. Um 9 Uhr wurde gefrühstückt. Während die älteren Besitzer die Grenzerneuerungen und -berichtigungen weiter Vornahmen, begaben sich die jüngeren Wirte nach den Grenzorten, um die Hausfrauen und die Töchter des Hauses nach dem sestgebenden <vrte zu laden. Die Einlader waren verpflichtet, in jedem Hause entweder mit der Hausfrau oder deren erwachsener Tochter zu tanzen. Hatten die Tänzerinnen den Ehrentrunk von dem Linlader angenommen, so vergalten sie dies durch ein reichliches Frühstück. Im festgebenden Drte selbst wurden die Gäste mit Musik nach dem Gasthofe gebracht und dort nach ÜZuartieren verteilt, wo ihrer ein Mahl wartete. Zum Schluß wurden die Viehställe in Augenschein genommen; ein Dorf­ball beschloß das alle zehn Jahre stattfindende Grenzerneuerungsfest."

Bringt der Bericht auch Einzelheiten die auf eine starke Verflachung deuten, so beweist aber die ganze Veranstaltung, daß die ursprünglichen Züge noch nicht verwischt sind.