1 Einleitende Bemerkungen
Im Verlaufe der letzten 15 Jahre hat die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft
Russlands auch im ländlichen Raum zu weit reichenden Veränderungen der wirtschaft
lichen, sozialen und ökologischen Situation geführt. Jedoch erwies sich der System
wandel zur Marktwirtschaft auch im Agrarsektor als besonders schwierig und von längerer
Dauer als ursprünglich angenommen. So wird Russland im Rahmen einer Bewertung des
erreichten Entwicklungsstandes der Transformation in der Landwirtschaft der MOE- und
GUS-Staaten durch die Weltbank 2002 nur auf einem hinteren Platz, mit deutlichem
Rückstand gegenüber MOE-Ländern wie Tschechien und Ungarn registriert(v. CRAMON
TAUBADEL 2002b, S. 11). Bei einer Interpretation dieses Standes dürfen allerdings die
völlig unterschiedlichen historischen, politischen, wirtschaftlichen, institutionellen und
raumstrukturellen Verhältnisse Russlands nicht übersehen werden.
Im Hinblick auf den schwierigeren und langfristigeren Gang der Transformation in der
Landwirtschaft Russlands werden speziell in der politik- und agrarwissenschaftlichen
Literatur(v. CRAMON-TAUBADEL 2002a, b; EPSTEIN 2002; LERMAN 2002; WEGREN 2002a, b
u. a.) folgende Hauptgründe hervorgehoben:
1. Die Volkswirtschaft des subkontinentalen Russlands, in der die Landwirtschaft eine wichtige Komponente darstellt, war um 1990 nur mit rudimentären Marktinstitutionen und-beziehungen ausgestattet und erfuhr nach dem Zusammenbruch des sowjetischen politischen und ökonomischen Systems eine besonders tiefgehende und langfristige Transformationskrise, die auch die Landwirtschaft mit besonderer Härte traf. Erst nach 1999 scheint sich eine„Konsolidierungsphase der Transformation“ gesamtwirtschaftlich anzubahnen.
2. Während die Liberalisierung des Agrarmarktes bis Mitte der 90er Jahre bereits weit vorangeschritten und parallel dazu Agrarbetriebe und Bevölkerung mit dramatischen Umbrüchen konfrontiert waren, blieben Privatisierung und Umstrukturierung der Landwirtschaftsbetriebe hinter den Erwartungen und Erfordernissen zurück. Die Hauptgründe dafür werden in Mängeln in der Agrarpolitik, der langzeitigen Blockierung von Reformen durch konservative Kräfte, in mentalen Wirkungen der russischen Agrartraditionen und der Wirtschaftskrise sowie in den Mängeln an Marktinstitutionen und infrastrukturen gesehen(ebenda).
In jüngerer Zeit ist eine größere Zahl von Publikationen vor allem aus den Politik- und
Sozialwissenschaften zur Transformation der Landwirtschaft Russlands(hier auch aus
agrarwissenschaftlicher Perspektive) erschienen. Sie beruhen teilweise auch auf gemein
sam mit russischen Instituten vorgenommenen empirischen Forschungen in ländlichen
Regionen Russlands(z. B. TANNEBERGER 1997, SCHULZE 1999, O’BRIEN/PATSIOR
KOWSKI/DERSHEM 2000).
Die geographische Transformationsforschung aus dem deutschen Sprachraum kann
zunächst für den Verlauf der Anschubphase der Transformation(Ende der 80er
Jahre/1990-1994) auf die grundlegende Arbeit von STADELBAUER(1996) zurückgreifen.
Die vom Leibniz-Institut für Länderkunde Leipzig gemeinsam mit russischen Instituten
geleisteten umfangreichen Forschungen(BRADE 2002) beziehen sich erstrangig auf die
Transformation der Städte Russlands und ihrer nahen Umländer. Der ländliche Raum wird
dort nur randlich berührt. Ähnlich verhält es sich mit einer Monographie zu den Urbani
sierungsprozessen in Russland aus der Feder von LAPPO/HÖNSCH(2000), in der die
Siedlungskategorie der ländlichen Siedlungen naturgemäß weitgehend thematisch ausge
klammert bleibt. Auf die Strukturumbrüche in räumlicher Makroebene nehmen Publika
tionen von GÖLER(2003), KLÜTER(2000, 2003) und WEIN(1999) Bezug. Dabei werden allerdings nicht erstrangig Themen der Landwirtschaft angesprochen. Unter den russischen Beiträgen zur geographischen Transformationsforschung des ländlichen Raumes standen für den Verfasser vor allem die Arbeitsergebnisse von T. NEFEDOVA(in
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