Teil eines Werkes 
Bd. 3 (1912) Die Volkskunde / von Robert Mielke [u.a.]
Entstehung
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Wer als Städter die Mark auf Wanderungen durchstreift, wird nicht den Ein­druck gewinnen, in einem fangesfrohen Lande zu weilen. Seltener als im deutschen Süden umklingt ihn lebendiger Volksgesang; nur die Kinder schlingen unbefangen ihre Ringelreihen, im Geräusch der Weltstadt so gut wie auf dem stillen Airchplatz des märkischen Dorfes. Aber es wäre schlimme Täuschung, auf Grund solcher Ein­drücke ein vorschnellesNarobiu uou oautat" auszusprechen. Die gehaltene, strenge Art des märkischen Bauern versagt sich doch keineswegs dem Liede, der Lebensfreude und dem Scherz, stärker freilich als im Süden ist die Befangenheit vor dem fremden Beobachter. Sammler, die durch ihren Stand oder geschickte Anknüpfung dem Volke wirklich näher treten konnten, vermochten auch in der Mark ihre Ernten zu halten. Dem wissenschaftlich und praktisch um das Volkslied vielfach verdienten Ludwig Erk sandten um s 850 Schüler und Bekannte eine Fülle von Liedern ein, die in seine ge­druckten Sammlungen eingingen, oder noch in seinem handschriftlichen Nachlasse schlummern?) Die Gesamtheit dieser Stücke zeigt einen überraschenden Tönereichtnm, der vage Vorstellungen vom schweigsamen Märker wirksam zu korrigieren imstande ist.

Eine Übersicht der märkischen Volksdichtung kann nicht zu einer Geschichte der­selben werden. Die Bestimmung des Alters der einzelnen Stücke ist zu unsicher, und es würden immer Lücken bleiben. Ft doch die weitere Aufgabe einer Geschichte des gesamten deutschen Volksliedes noch ungelöst. So bleibt es das Geratenste, den Stand­punkt in derjenigen Zeit zu wählen, in der die reichsten Aufzeichnungen gemacht wurden, und von dort gelegentlich nach vorn und rückwärts auszuschauen. Diese Zeit aber ist die Mitte des sh. Jahrhunderts. Ein Querschnitt durch den Volksliederbestand dieser Zeit zeigt, daß die Mark normalen Anteil nahm an dem Schatze jener Volkslieder des. und s6. Jahrhunderts, deren Stil die Eigenheiten mündlicher Tradition zeigt, deren Varianten bald in allen deutschen Gauen erklangen und deren Verwandtschaft zum Teil in die Weite der Weltliteratur hinausweist. Aber auch die tändelnden Stücke des späteren s?., die sentimentalen und moralischen des s8. Jahrhunderts und noch modernere Lieder fehlen nicht.

Liedern dieser letzteren Art möchte vielleicht mancher Leser den Tharakter von Volksliedern absprechen. Wo aber, wie fast immer bei den Erkschen Aufzeichnungen, Grt und Zeit der Aufnahme aus dem Volksmunde wohl verbürgt ist, müssen Zweifel an

tz Er wurde für die vorliegende Darstellung benutzt. Ihn nach^Gebühr? ausschöpfen könnte nur eine umfangreiche brandenburgische Sammlung, die noch nicht versucht wurde. Kgl. Bibl. Berlin, Ntusikabteilung, Ms. 22H, HZ Bde. Zitiert alsErks Nachlaß" nach Band und Keite.