St. Marienkirche. 3133
Der Grundgedanke, die allgemeine Anlage wie der Aufbau der Marienkirche wirken überraſchend und zwingen zur Bewunderung. Ein ſo eigenartiges und bedeut— ſames Bauwerk ſchien von jeher nicht bodenſtändig aus der brandenburgiſchen Kunſt erwachſen zu ſein. Man ſuchte ſeit langer Zeit ſchon nach den Vorbildern, die hier nachgeahmt, aus denen wenigſtens die leitenden Gedanken geſchöpft wären. Den märkiſchen Geſchichtsſchreibern des 16. Jahrh. ſchien der griechiſche Oſten die treffendſten Vergleiche zu bieten. Schon Sabinus nennt die Kirche i. J. 1552„aedificatum ad Similitudinem Graecorum templorum* und ganz ähnlich urteilen Garcaeus und Leutinger.
Auch die neuere Kunſtforſchung folgte jenen über Weſensverwandtſchaft in der Baukunſt noch in unkritiſchen Anſchauungen befangenen Chroniſten auf der Suche nach verwandtſchaftlichen Beziehungen; leider z. T. nicht mit Glück.
Es iſt in der kunſtgeſchichtlichen Einleitung verſucht, einige von den Fäden, die das ſchöne Werk mit der Baukunſt feiner und der früheren Zeit verweben, zu ver— folgen. Hier aber darf nicht unterlaſſen werden, noch die von anderer Seite betonte Verwandtſchaft unſerer Kirche mit der vor 1180 erbauten ganz ſchmuckloſen Liebfrauenkirche zu Kallundborg von künftigen Vergleichen auszuſchließen. In der Tat bietet jener nordiſche Backſteinbau doch nur die recht oberflächliche Ähnlichkeit, daß er wie unſere Marienkirche vier im Geviert ſtehende Türme beſitzt.
Für eine Verwandtſchaft der Marienkirche mit der Kallundborger Kirche (vgl. Mitteil. d. K. K. Zentral⸗-Kommiſſion IX, 1864, 1—– 1IIl, ferner W. Lorenzen in: Revue de l'art chrétien 1907, 3me livr. p. 145— 155, und Seeſſelberg, Die frühmittelalterl. Kunſt d. germ. Völker, S. 88) treten ein: Otte in Geſch. d. roman. Bauk. S. 634 und Wernicke in Otte, Handbuch der kirchl. Kunſtarchäologie Il, S. 17, wo geradezu„eine ſehr große Übereinſtimmung“ zwiſchen beiden Kirchen behauptet wird. Von den gewaltigen Unterſchieden zwiſchen ihnen ſei hier nur hervorgehoben, daß die in Kreuzform ſtehenden(übrigens achteckigen) Türme der Kallundborger Kirche gar nicht im Grundviereck, ſondern auf den Enden der weitausgereckten Kreuzflügel ſtehen und ihnen die konſtruktive Bedeutung fehlt, welche die Brandenburger durch die ſo wichtige Belaſtung jener Ecken beſitzen. Gegenüber dem an unſerer Kirche ſo wohl durchdachten, ſtandſicheren Aufbau leidet dort gerade die Vierung durch die übermäßige Belaſtung ihrer nur auf vier dünnen Säulen ruhenden Bögen durch einen fünften mittleren Turm(den die Brandenburger Kirche nie beſeſſen hat!) an ſchweren Mängeln. Neben dieſem das innerſte Weſen des Aufbaus treffenden Unterſchiede erweiſt ſich die geſamte Gliederung und Durchbildung des Innenraumes als eine völlig andere, da die Zweigeſchoſſigkeit fehlt und die Verhältniſſe gänzlich andere ſind, von den Stilformen im Einzelnen ganz zu ſchweigen. Zuletzt, doch nicht zum wenigſten beſteht eine Verſchiedenheit in den völlig abweichenden Zwecken der die äußere Erſcheinung beherrſchenden Türme. Dort machten ſie mit ihren Zinnen die Kirche zu einem drohenden, den Meeresſtrand vor räuberiſchen Einfällen ſchützenden Wehrbau, hier dienten ſie dem Bauwerk ſelbſt zur konſtruktiven Sicherung und überragten die Kirche mit ihren vergoldeten Spitzen allein zur Ehre Gottes; der Wehrkirche ſteht die Wallfahrtskirche gegenüber.