Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1910) Die Geschichte / von Gustav Albrecht ...
Entstehung
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Nach Einführung der Kreisordnung vom 1 ( 3 . Dezember (872 ge­winnt die Kreisverwaltung ein völlig anderes Bild. Keine Virilstimmen der Ritter­gutsbesitzer, keine erbliche Kreisstandschaft mehr, sondern Wahl der Kreistags- abgeordneten durch die drei Wahlverbände der Großgrundbesitzer und Groß­industriellen, Städte und Landgemeinden. Der Kreistag, der unter dem Vorsitz des Land­rats mindestens zweimal im Jahre berät, hat bei Neubesetzung des Landratspostens nur noch ein Vorschlagsrecht und erwählt als Verwaltungsorgan den Kreisausschuß, der außer dem Landrat aus sechs Ehrenbeamten besteht. War auch der Landrat jetzt fast zum reinen Staatsbeamten geworden, so hatte man andererseits die ehrenamtliche Selbstverwal­tung stärker ausgebaut, denn die allgemeine Dienstpflicht hielt nach den Worten des Ministers Graf Eulenburg auch hier ihren Einzug. So viel über den äußeren Rahmen der Ver­waltung ! Diese selbst konnte ganz anders ausgebaut werden, seitdem die Kreise auf Grund der Gesetze von ( 873 , (875 und (906 staatliche Dotationen erhielten sowie die Befugnis, Zuschläge zu den staatlich veranlagten Steuern zu erheben, eigene Steuern Umsatz-, Grundwert-, Schankkonzession und Grundsteuer einzuführen und Anleihen aufzunehmen.

Da die Gegen st ände der Kreiskommunalverwaltung gesetzlich nicht erschöpfend bestimmt sind, haben manche Kreise sich mehr der Entwicklung der Verkehrsverhältnisse (Kreiseisenbahnen), andere der pflege der idealen Güter (Seßhaft- machung der Arbeiter, landwirtschaftliche Schulen) gewidmet. Lhausseebauten, Hebung der Pferde- und Viehzucht durch Ankauf von Hengsten und Bullen, Erlaß von Kör­ordnungen u. dgl. mehr bilden auf allen Kreistagen Gegenstand der Beratung. Eine besonders wirkungsvolleTätigkeit entfalteten die nach Hunderttausenden von Einwohnern zählenden Kreise in der Umgegend Berlins. Neben großartigen Kranken- und Schwester­häusern, wie dem zu Groß-Lichterfelde, wurde hier Mustergültiges auf dem Gebiete des Sparkassenwesens, des Ehausseebaues geschaffen. Doch wohl die gewaltigste Leistung, zu der sich ein Kreis je aufgeschwungen hat, ist der Bau des (907 eröffnten Teltowkanals.

Überschaut man im ganzen das Gebiet der Selbstverwaltung auf märkischem Boden, so ist man erstaunt, wie trotz aller Veränderungen und Umformungen sich die Tradition zäh erhalten hat, besonders auf dem platten Land. Die Gemarkungsgrenzen bleiben unverrückt; in manchen Dörfern bilden noch heute ebenso wie zu Zeiten Kaiser Karls I V. etwa (0 Bauern und gleich viel Kossäten den Grundstock der Gemeinde. Alle Amts­vorsteher erscheinen in einigen Gutsbezirken die Nachkommen jener milites, die sich zur Zeit der ersten Kolonisation niedergelassen hatten. Das Landratsamt wird in den weiter von Berlin entfernten Kreisen vielfach von Mitgliedern -er seit Jahrhunderten angesessenen Geschlechter verwaltet. Frei von jedem Optimismus, der ja so oft zu gewaltsamen Um­wälzungen führt, haben die Märker aucb darin ihren realen, nüchternen Sinn gezeigt, daß sie auf dem Gebiete der Verwaltung jeder von unten heraufkommenden revolutionären Bewegung abhold blieben.