Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
Entstehung
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In seiner grundlegenden und richtungweisenden Prager Rektoratsrede vom Jahre 19 08 überLiteraturgeschichte und Volkskunde" hat August Sauer den Zusammenhang der deutschen Literatur mit dem deutschen Volkstume nachgewiesen und als die eigentlich nationale Seite unserer Literaturgeschichte charakterisiert; er hat aus dieser Erkenntnis die berechtigte Schlußfolgerung gezogen, daß der bisher fast ohne Ausnahme üblichen deutschen Literaturgeschichtsschreibung stammheitliche oder landschaftliche Provinzial­literaturgeschichten zur Seite zu treten hätten.1) Eine Betrachtung also ist hier nötig, die von volkstümlichen Elementen unter Berücksichtigung der Dialektpoesie ausgeht und welche auch die aus einer bestimmten Landschaft stammenden Dichter mit in den Kreis der Darstellung zieht, zum mindesten andeutend untersucht, was ihnen an Eigentümlich­keiten des Stammes, des Bodens und des Blutes geblieben ist als treu bewahrtes Merk­mal und Erbgut.Auch in der Geschichte der deutschen Nationalliteratur werden Land­schaften Beachtung erheischen oder wieder Einfluß gewinnen, die lange brach gelegen haben oder deren Kraft sich vorher noch nie zu einer bedeutenden dichterischen Einheit zusammengeschlossen hat."

Freilich:das Volk als Masse dichtet nicht", und je höher ein Dichter nach Form und Inhalt, Wert und Wirkung seines Werkes steht, desto mehr ist er dem Nährboden der Heimat bereits entwachsen. Die in Frage kommenden Zusammenhänge sind für die Gegenwart stark eingeschränkt, sie werden für die Zukunft immer mehr geleugnet werden; aber auch für die Vergangenheit ist die Forschung noch im Fluß und die sicheren Mittel zu feineren Analysen werden gesucht; doch das große, breite und weite Fundament, auf dem hier in allererster Linie zu bauen wäre, die wissenschaftliche Formel für den Be­griff Volksseele, ist immer noch zu errichten und zu finden. So viel steht ja wohl zweifel­los fest: der Geburtsort entscheidet noch nicht über die Stammeszugehörigkeit; es wird immer zu fragen sein, wie lange die Familien, denen ein Dichter entstammt, in der be­treffenden Landschaft ansässig sind, ob der Dichter dort autochthon ist oder nicht. Es ist also, um es auf diesen Fall anzuwenden, zu scheiden und zu unterscheiden zwischen solchen, die von Geblüts Märker sind, und solchen, die oder deren Vorfahren zuwan- derten; es muß dichterisch und literarisch von Wichtigkeit und Wesenheit sein, daß

1) Die Grundgedanken Sauers finden sich bereits bei Koberstein: Andeutungen über den besonders erfolgreichen Anteil Preußens an der Neugestaltung der deutschen Literatur; vgl. ver­mischte Aufsätze zur Literaturgeschichte und Ästhetik, 1858, S. 251 271 . Ausgeführt und zur Vollendung gebracht hat diese Anschauungen und Betrachtungsweisen Josef Nadler in seiner Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften, deren erste beiden Bände (Regens­burg, 1S12/13) bis 1780 reichen.

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