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Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
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gestohlen. Als er am anderen Morgen weiter wanderte, sank er unter einer Eiche nieder. Die Hostie zerrieb er und ver­grub die Krümel. Natürlichbluteten sie. Inzwischen hatte man den Kirchenraub entdeckt. Bald wurde der jüdische Wandersmann eingeholt. Ein Pritzwalker Tuchmacher schlich sich in sein Vertrauen ein und bewog ihn ver­mutlich gegen eine Belohnung, ihm die Stelle zu zeigen, wo er die Hostie vergraben haben wollte.Met sinen lach- tem Vothe (mit seinem linken Fuße) wies er auf die Erde: Hier liegt euer Gott! Im Gebüsch hatten sich Pritzwalker Bürger versteckt, die auf ein gegebenes Zeichen hervor­sprangen und den Juden verhafteten.

Von nun an wurden die aufgefundenen Krümel Gegen­stand der Anbetung. Da die Gläubigen dem bloßen Anblick des geschändeten Heiligtums Heilung von körperlichen Lei­den zuschrieben, setzte ein gewaltiger Zustrom von Men­schen, Spenden und Ablaßgeldern ein. Bald konnte der Bischof der über der Fundstelle der Hostie den Himmel offen gesehen hatte! eine Kapelle errichten, die sich später zu dem Nonnen-Zisterzienserkloster Heiligengrabe aus wuchs.

Der wirtschaftliche Erfolg dieser Blutwunder weckte den Neid der Wilsnacker Geistlichen. Hier aber sahen ihnen die kirchlichen Behörden auf die Finger. Der Brandenburger Dompropst Petrus Klitzke fuhr mit dem Magdeburger Domherrn HeinrichTocke nach Wilsnack. Auf Grund ihrer Untersuchungen stellten sie fest: blutende oder blutige Hostien gab es in Wilsnack gar nicht, höchstensein Etwas, das wie ein Spinnengewebe aussah! Die Landesregierung aber war gegen den Aberglauben machtlos. Behörden und Geistlichkeit förderten sogar die Wallfahrten nach Wilsnack als Mittel, das Volk auch ihren Anordnungen gegenüber gläubig und gefügig zu machen.

Zuverlässiger als durch das Märchen von der Hostien-

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