Das ungeheure Geschehen hatte diese armen, gehetzten Menschen abgestumpft. Geistig waren sie so schwunglos, daß sie ihr Leid nicht einmal in eine Trauerelegie gossen oder in einem anderen, wenn auch noch so bescheidenen literarischen Denkmal der Nachwelt überlieferten. Jedenfalls besitzen wir keine Zeile von der Hand eines märkischen Juden aus jener düsteren Zeit, noch weniger ein rabbinisch- talmudisches oder moralisches Werk. Die Namen der Berliner Märtyrer von 1510 haben auswärtige Glaubensgenossen in ihren hebräischen Memorbüchern verzeichnet. Auch Rabbiner und Führer mit berühmtem Namen sind uns aus den Marken nicht bekannt geworden. Anscheinend waren die brandenburgischen Juden nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ unbedeutend.
Die politischen und sozialen Verhältnisse der Zeit ließen ihnen beruflich keine andere Möglichkeit als das Geldgeschäft, Wucher genannt. Bei einer Vertreibung hatten die Juden Geldmittel zu einer neuen Existenz fast immer bei der Hand. Mußten sie Barvermögen und Liegenschaften herausgeben, so blieben ihnen immer noch Edelsteine und andere leicht transportable Wertsachen. Diese wurden nach dem Grenzübertritt veräußert — und neues Betriebskapital stand zur Verfügung.
Die vertriebenen märkischen Juden siedelten sich hauptsächlich in Oberschlesien an, von dem ein Teil, nämlich die Fürstentümer Oppeln und Ratibor, dem Markgrafen Georg von Brandenburg unterstand. Hier trieben sie Handel in großem Stil. Sie kauften Getreide, Vieh, Pferde, Eisen, Tuch, Felle, Wolle, Garn und Textilien auf und versorgten damit die ländliche Bevölkerung. Das schädigte die alteingesessenen Geschäftsleute und verbitterte sie.
Die brandenburgische Regierung befahl mittels eines „Abschieds“ (1540), „daß kein Jude einem Christen Geld oder Waren borgen sollte, ohne des Amtmanns oder des
62