knüpft an seinen Bericht über diesen Vorgang die Be- merkung: „Hundert Jahre früher konnte diese Begebenheit grausame Folgen für die Juden haben!“
Die Juden hatten die Katastrophen von 1510 und 1571 nicht vergessen. Jetzt atmeten sie freier: die Umwelt fing an, auch in den Juden Menschen, Brüder zu sehen.
Lebte da am Ende des 17. Jahrhunderts in Berlin ein besonders frommer Pastor, der Archidiakonus Johann Caspar Schade. In den Wirkungskreis seiner Humanität bezog er auch die Berliner Juden ein. Ausnahmsweise leiteten ihn keine Bekehrungsabsichten. Seine zornerfüllten Predigten hatten ihn bei der einfachen Bevölkerung so verhaßt gemacht, daß der Pöbel sein Grab zertrat und verwüstete. Die dankbaren Juden, die bei seiner Beerdigung zugegen waren, stellten sich schützend vor seine Gruft und hielten Wache. Wurde er doch von ihnen „wie ein Prophet“ hoch in Ehren gehalten, denn er hatte ihnen viel Gutes erwiesen. Seinem Gebete schrieben sie einmal die Heilung eines todkranken jüdischen Kindes zu.
Im Schoße der Berliner Judenschaft zeigten sich die ersten Ansätze frischen Gemeindelebens. Wie immer, wenn Juden Gemeinden gründeten, ihre erste Sorge den Toten galt, so schritten auch die „Österreicher“ in Berlin zunächst (1676) zur Stiftung einer Beerdigungsbrüderschaft, „Gemilus Chassodim“.*) Der Jugendunterricht in Bibel und Talmud lag in den Händen aus Polen eingewanderter Schulmeister. Deutsche und allgemeine Bildung war unter den damaligen Juden der Mark Brandenburg eine Seltenheit. Die religiösen Urkunden des Judentums genügten ihnen als Quellen geistiger Nahrung. Den Frauen wurden sie durch Bücher in jüdisch-deutschen Schriftzeichen vermittelt, zumal durch das
•) „Erweisung von Wohltaten.“ Ein talmudischer Spruch lautet: „Die wahre Wohltat ist die, welche man den Toten erweist, denn bei ihnen rechnet man nicht auf Gegenleistung.“
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