Siebzehntes Kapitel.
Die Emanzipation — de jure.
Eingespannt in das — durchaus nicht als drückend empfundene — Joch religiöser Pflichten, waren die Altgläubigen, wenn die Behörden sie einigermaßen in Ruhe ließen, mit ihrer Lage zufrieden. Sie waren sich bewußt, „im Golus“ zu leben, und strebten daher nicht nach Gleichstellung mit der übrigen Bevölkerung. Während die religiös freier denkende Oberschicht die Spannung zwischen den ethisch- politischen Bestrebungen und ihrer erbärmlichen sozialen Lage bitter empfand — die jüdischen Ärzte wurden im Berliner Adreßbuch gesondert aufgeführt! —, vergaßen die Alt- frommen keinen Augenblick ihr Anderssein, auch ohne daß Ausnahmegesetzgebung und Sonderbesteuerung es ihnen verdeutlichte. Im Glauben an die göttliche Führung, in Gottesdienst, Bildung und Sitte von der Umwelt unterschieden, ernährten sie sich redlich. Religion und Volk verschmolzen bei ihnen zu untrennbarer Einheit — was dann, wenn die neue Zeit eine dieser beiden Säulen aus dem festgefügten Bau ihres religiös-kulturellen Lebens herausbricht —?
Gewaltig rüttelte die neue Zeit am Leben der Judenheit. Ob Neuerer, ob Altgläubiger: einen jeden ging die bereits von Friedrich Wilhelm II. anbefohlene, aber erst unter seinem Sohne Friedrich Wilhelm III. in die Tat umgesetzte Neuordnung der jüdischen Angelegenheiten an. Wie bei allen seinen Maßnahmen vollzog der König auch
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