Druckschrift 
Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
Entstehung
Seite
248
Einzelbild herunterladen

Achtzehntes Kapitel.

Neues Leben.

Im Gegensatz zu den Gemeinden Süd- und Westdeutsch­lands, erwies sich Berlin für erfolgreiche Arbeit im Dienste des geistigen Judentums als ein steiniger Boden. Einem Meteor gleich, war Moses Mendelssohn aufgezuckt, aber die Fackel, die er entzündet hatte, entsank den Händen seiner wohlmeinenden, jedoch schwachen Nachfolger. Gebieterisch verlangte die fortgeschrittene Zeit eine Umwandlung des bloßenVersammlungshauses zu einer wahrhaftenStätte der Andacht, mochten auch ihre Formen in bezug auf Schönheit und Verständlichkeit hier und da den Ausdrucks­mitteln nichtjüdischer Gottesverehrung ähneln. Bis aus den ehrlichen Versuchen ein eigener, jüdischer Stil erwuchs, nahmen die Neuerer das Gute, wo sie es fanden.

Gegenüber Engherzigkeit und übertriebener Furcht vor völligem Zusammenbruch, als den Triebfedern des scharfen Widerspruchs gegen jede Reform, wiesen Geschichtskundige nach, daß jedes Zeitalter des Zusammenpralles jüdischen Geisteslebens mit der Kultur der Umwelt sich seine reli­giösen Ausdrucksformen schuf. Von den gelehrten Rab­binern, die in der Gedankenwelt längst versunkener Jahr­hunderte lebten, und selbst in den von Mendelssohn gekenn­zeichnetenmenschlichen Zusätzen unverletzliche religiöse Vorschriften erblickten, war ein Mitgehen mit den Ideen der Neuzeit oder auch nur ein prüfendes Eingehen auf sie

248