Gotteshaus war unseren Ahnen eine Art gemeinsamer Wohnung, und ihre ungezwungene Haltung in demselben ist nichts als eine natürliche Reaktion jenes künstlichen Stillhaltens, zu dem sie außerhalb des Gotteshauses durch die vorurteilsvolle Gewalt einer grausamen Mitwelt gezwungen waren. So wird die vielverspottete „Judenschule“ zu einem Begriff voll tragischen Inhalts, dessen wir uns nicht zu schämen brauchen“ (S. 120/121).
Störenfriede wurden nicht zurechtgewiesen, denn die Synagogenvorsteher hätten ein solches Plauderverbot als „unerlaubte Neuerung“ angesehen. Die Ehrenpflicht, den Segensspruch über die Thora zu sprechen, wurde meistbietend versteigert. Ende der dreißiger Jahre schaffte der altfromme, aber von den Auswüchsen des synagogalen Lebens abgestoßene Vorsteher Aron Hirsch Heymann diesen Mißstand ab. Ebenso beschränkte er die vielen, vom Kantor heruntergeleierten Segensgebete für das Wohl der Spender und ihrer Familien („Mi sch’berach“) auf ein Mindestmaß. Vor allem aber sorgte er durch Einsetzung einer achtgliedrigen Ordnungskommission für Ruhe und äußeren Anstand. Die Gemeinde sah die Notwendigkeit einer solchen Maßregel ein; darum konnte sich die Kommission bereits nach n. 1 1 /2 Jahren auflöse
Unentwegt arbeiteten die Neuerer weiter. War die Reform des Gottesdienstes in weite Ferne gerückt, so erschlossen sie sich nunmehr einen verschüttet geglaubten Quell, aus dem sie geistige Nahrung, ethische Höherentwicklung, Gemütserhebung und Ahnenstolz schöpften: die Wissenschaft des Judentums.
Bereits im Jahre 1819 hatten sich geistig beschwingte junge Männer zu einem „Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden“ zusammengeschlossen: Heinrich
Heine, sein Freund Moser (den Heine „die Prachtausgabe eines wirklichen Menschen“ nennt), Eduard