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Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
Entstehung
Seite
250
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Gotteshaus war unseren Ahnen eine Art gemeinsamer Wohnung, und ihre ungezwungene Haltung in dem­selben ist nichts als eine natürliche Reaktion jenes künst­lichen Stillhaltens, zu dem sie außerhalb des Gotteshauses durch die vorurteilsvolle Gewalt einer grausamen Mitwelt gezwungen waren. So wird die vielverspotteteJuden­schule zu einem Begriff voll tragischen Inhalts, dessen wir uns nicht zu schämen brauchen (S. 120/121).

Störenfriede wurden nicht zurechtgewiesen, denn die Synagogenvorsteher hätten ein solches Plauderverbot als unerlaubte Neuerung angesehen. Die Ehrenpflicht, den Segensspruch über die Thora zu sprechen, wurde meist­bietend versteigert. Ende der dreißiger Jahre schaffte der altfromme, aber von den Auswüchsen des synagogalen Lebens abgestoßene Vorsteher Aron Hirsch Hey­mann diesen Mißstand ab. Ebenso beschränkte er die vielen, vom Kantor heruntergeleierten Segensgebete für das Wohl der Spender und ihrer Familien (Mi schberach) auf ein Mindestmaß. Vor allem aber sorgte er durch Einsetzung einer achtgliedrigen Ordnungskommission für Ruhe und äußeren Anstand. Die Gemeinde sah die Notwendigkeit einer solchen Maßregel ein; darum konnte sich die Kom­mission bereits nach n. 1 1 /2 Jahren auflöse

Unentwegt arbeiteten die Neuerer weiter. War die Re­form des Gottesdienstes in weite Ferne gerückt, so erschlos­sen sie sich nunmehr einen verschüttet geglaubten Quell, aus dem sie geistige Nahrung, ethische Höherentwicklung, Ge­mütserhebung und Ahnenstolz schöpften: die Wissen­schaft des Judentums.

Bereits im Jahre 1819 hatten sich geistig beschwingte junge Männer zu einemVerein für Kultur und Wissen­schaft der Juden zusammengeschlossen: Heinrich

Heine, sein Freund Moser (den Heinedie Pracht­ausgabe eines wirklichen Menschen nennt), Eduard