Jochanan ben Sakkai, als er aus den Trümmern des staatlichen und religiösen Lebens im Heiligen Lande die Lehre rettete und ihr in Jabne eine Pflegestätte schuf. Überzeugt, daß die Wissenschaft des Judentums lebt, „auch wenn sich jahrhundertelang kein Finger für sie regte“, machte sich Zunz ihre Pflege fortan zur Lebensaufgabe, während der Kulturverein taten- und rühmlos dahinsiechte.
Unter Ablehnung jeder nationalen Besonderheit hatte die Ära Mendelssohn eine allgemeine Religiosität („Religion ist Humanität“) erstrebt. Die Schilderhebung der Wissenschaft des Judentums bedeutete dagegen eine Erweckung des nationalen Bewußtseins im Judentum. Gleichgültig gegenüber jüdischen Belangen blieben nur diejenigen, welche die Loslösung des allgemein-ethischen Elements aus den Mutterarmen des national-positiven Judentums als „die schönste Frucht der Aufklärung“ verehrten und die Verwischung, d. h. Verfälschung des nationalen Grundgedankens als eine verdienstvolle Tat kennzeichneten. Selbst entschiedene Reformer, wie Holdheim, sprachen nicht von der späterhin auf den Kanzeln und am Vortragstisch beliebten „Glaubensgemeinschaft“, sondern immer nur vom jüdischen „Volk“; mochten sie sich auch noch so sicher als Bürger des Landes fühlen, in dem sie wohnten.
Von Zunz geweckt, feierte die Vergangenheit seines Volkes eine ungeahnte Auferstehung. Als treue Freundin diente sie der Zukunft.
Im Kampf wenigstens um das Recht auf eigene Gestaltung des jüdischen Gottesdienstes lieferte die neu gewonnene Wissenschaft des Judentums das erforderliche Rüstzeug.
Zunz wies in einem auf reichem Quellenmaterial aufgebauten Werk, „Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden“, nach, daß bereits Jahrhunderte vor der Entstehung des Christentums in der Landessprache über die Thora gepredigt wurde; während die Priester im (zweiten) Tempel ihre täg-
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