grat, indem er es ihnen zur Pflicht machte, sich nicht nur die Kulturerrungenschaften der Umwelt anzueignen, sondern zugleich alle Ghettoverzagtheit abzustreifen, sich nicht des Namens „Jude“ zu schämen, sondern in jedem Einzelnen den Stolz auf sein Deutschtum und sein Judentum zu wecken.
Rießer und seine Bundesgenossen, voran t Moritz Vei in Berlin, unterstützten die an die Einzellandtage gerichteten Protestschreiben gegen Rückschritt und Entrechtung. Noch einmal spukte der Geist ungleichen Maßes im preußischen Ministerium, als der König mittels „Vorläufiger Verordnung“ vom 1. Juni 1833 die jüdische Bevölkerung der Provinz Posen — zwei Fünftel der Juden in Preußen! — in die „naturalisierten Einwohner“ und in diejenigen, „welche sich zur Erlangung der der gedachten naturalisierten Klasse verliehenen Rechte noch nicht eignen“, einteilte.
Als König Friedrich Wilhelm IV. den Thron bestieg (1840), erwarteten die freiheitlich eingestellten Bevölkerungskreise einen Systemwechsel. Der Monarch war aber in Romantik, Mystik und Gottesgnadentum dermaßen eingesponnen, daß er die Zeichen der Zeit und den Willen seines getreuen, auf die von seinem Amtsvorgänger verheißene Verfassung harrenden Volkes nicht zu deuten verstand. „Ich liebe die Juden“, erklärte er, „und ich will ihre ehrwürdigen, nationalen Eigentümlichkeiten erhalten wissen", d. h. sie von der Ehre des Heeresdienstes ausschließen. Die Juden in Preußen aber forderten ihr Recht, neben der Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten auch die Lasten des Staates mittragen zu dürfen.
Die Berliner Gemeinde richtete eine (von Moritz Veit aufgesetzte) Eingabe an den Kriegsminister von Boyen (9. März 1842), mit der Bitte, den Juden ihre Militärpflicht zu belassen. Als Zeugnis ihrer vaterländischen Gesinnung legte der Vorstand die Kriegsausbruchs-Predigt des
17
257