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Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
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entwicklung ihrer jüdischen Volksgemeinschaft einsetzen In Monats- und Wochenschriften finden die wissenschaft­lichen und religiösen Bestrebungen einen erfreulichen Nie­derschlag (FürstsOrient, JostsAnnalen, Geigers theolo­gische Zeitschrift, PhilippsonsAllgemeine Zeitung des Judentums usw.). Eine reichhaltige Predigtliteratur legt von dem Streben der neuen Rabbinergeneration nach einer zeitgemäßen Umgestaltung des Gottesdienstes, mit der Pre­digt als Mittelpunkt, Zeugnis ab. Ausdrücke wieGeist­licher,Konfirmation,Katechismus usw. beweisen aller­dings, daß manche der getätigten Reformen über eine Nach­ahmung fremder Bräuche nicht hinauskamen.

Mit der Bereitwilligkeit, Mißstände im gottesdienstlichen Leben zu beseitigen, beweisen die Altfrommen, daß ihnen auch ein geregelter Gottesdienst religiöse Befriedigung bietet. Musikfreudig, wie die Juden von jeher sind, willigt die Berliner Gemeinde in die Einrichtung eines Männer- und Knabenchors. In dieser ästhetischen Ausgestaltung des Gottesdienstes lehnt sich Berlin an das Vorbild des Wiener Stadttempels an, wo die alten, herrlichen Gesänge in neuzeitlicher, von Schlacken gereinigter Bearbeitung*) dem Gottesdienst eine bis dahin nie empfundene Weihe ver­liehen. Ähnliches versuchte in Berlin Oberkantor Ascher Lion, den die Gemeinde vom Beerschen Tempel her über­nahm.

Wie in Wien ­ Isaak Noa Mannheime r durch Pre digten in bestem Deutsch die traditionell-fromme Gemeinde erbaute, so zog auch die Berliner Orthodoxie bald die deutschen Kanzelreden denDrosches vor. Bei der Ein­weihung des neuen Friedhofes vor dem Schönhauser Tor hatte die Polizei eine deutsche Weiherede des Rabbiners

*) Tonschöpfer wie Franz Schubert und Karl Zelter waren von den hebräischen Tempelgesängen so begeistert, daß sie selber solche komponierten: Schubert einPsalmlied für den Sab­battag (Ps. 92), Zelter das wunderschöneW je eßoju.

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