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Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
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Oettinger untersagt. Unter der Wucht der von Zunz gelieferten Beweise für das vieltausendjährige Vorhandensein jüdischer gottesdienstlicher Vorträge zog die Regierung das Predigtverbot stillschweigend zurück.

Bei der Nachfrage nach Predigern modernen Stils blieben auch die Berliner Altfrommen nicht unberücksichtigt. Der Dresdner Oberrabbiner Zacharias Frankel nahm das ihm angetragene Berliner Oberrabbinat nicht an, denn er wollte dies nur wie in seinem bisherigen Wir­kungskreise aus der Hand der Königlichen Regierung ent­gegennehmen. Statt dessen wählte der Vorstand (1844) den feingebildeten, gelehrten und dichterisch reich begabten Dr. Michael Sachs zum Rabbinatsassesor, Prediger und Religionslehrer. So oft eine Kanzelrede von Sachs an­gekündigt war, füllten diese zündenden, schwung- und geist­vollen Predigten das Gotteshaus bis auf den letzten Platz. Herzensfromm und friedfertig, suchte er die abseits stehen­den Neuerer für das nunmehr auch in Berlin von manchem Unschönen befreite Althergebrachte zu gewinnen*). Zu den Reformern aber führte keine Brücke der Verständigung, denn diese verwarfen die Tradition. Skeptisch verfolgte die Or­thodoxie die neuerwachte Wissenschaft des Judentums, die von Tag zu Tag an Boden gewann. Daß sie an Brauchtum und Herkommen, d. h. an die bereits von Mendelssohn er­kanntenmenschlichen Zusätze, die kritische Sonde legte, faßten die Altfrommen als eine ideologische Rechtfertigung des opportunistischen Bruches mit mancherlei überlebten Zeremonien auf;mit der wissenschaftlichen Kultur erwarb man statt matten Goldes nur glitzernde Glasscherben (Dr. J. Hoffmann-Frankfurt).

*) Als hörendes Mitglied derSingakademie wohnte Sachs dort einmal der Aufführung von HändelsJudas Makkabäus bei. Die HymneSeht, da kommt er gefiel ihm so gut, daß er sie den Versen 2123 des 118. Psalms unterlegen ließ. In Händels Melodie werden sie noch heute imHallel gesungen.

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