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Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
Entstehung
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Über Äußerlichkeiten ließ sich bei gutem Willen eine Einigung erzielen. Aber in der Verwerfung des national­jüdischen Prinzips und des Messiasglaubens alter Prägung gab es für die Reformer kein Nachgeben: zu sehr waren sie mit ihrem Deutschtum verwurzelt, als daß sie sich mit dem Gedanken an eine über alle Weltteile zerstreute jü­dische Glaubensgemeinde mit ihrer Geschichte und ihrer Zukunftshoffnung befreundet hätten!

Träger dieser Anschauungen wurde im Anfang der vier­ziger Jahre ein neuer Berliner Kulturverein, der sich neben sozialen Bestrebungen für eine Hebung des gesamten Juden­tums einsetzte. Sein Wortführer war Sigismund Stern. Auf Grund seiner Vorträge überDie Aufgabe des Judentums in der Gegenwart (1844/45), sammelte er eine große Zuhörerschaft um sich, welche in Michael Sachs Einführung des geregelten Gottesdienstes nur eine Etappe auf dem Wege zur Umgestaltung des Judentums nach In­halt und Form erblickte. Jetzt handelte es sich nicht mehr um eine Neugestaltung des Gottesdienstes im Sinne des Beerschen und des (1818 gegründeten) Hamburger Tempels, jetzt stand vielmehr die Anerkennung oder Ablehnung des Talmuds und die Kennzeichnung der Judenheit als Volks­oder Religionsgemeinschaft zum Meinungsaustausch.

Religiöse Erneuerung war damals nicht bloß das Ziel der denkenden Judenheit. Auch die christliche Umwelt er­strebte neben der politischen Neuordnung eine religiöse. Hier waren die katholischen Theologen Johannes Ronge und Czerski gegen die Ausstellung des Heiligen Rockes aufgetreten und zu Aposteln einer freieren kirch­lichen Gemeinschaft geworden. Deutschkatholische und christkatholische (freireligiöse) Gemeinden entstanden, um nach kürzerer oder längerer Zeit wieder ihre Vereinigung mit den Mutterkirchen zu vollziehen.

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