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Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
Entstehung
Seite
270
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Bei den Juden trat als Führer der fortschrittlichen Be­wegung der einer Rabbinerfamilie entstammende, talmudisch gründlich vorgebildete Wiesbadener Rabbiner Abraham Geiger auf. Damals, in seiner Frühzeit, lehnte er die he­bräische Gebetssprache ab, weil er die Judenheit nicht als ein Volk ansah und somit die Notwendigkeit des Hebrä­ischen als einigendes Band bestritt. Dem Talmud sprach er nur einen literarischen Wert zu; an seine Vorschriften wie auch an die Glaubenslehren legte er die kritische Sonde. Judentum wurde für ihn ein rein theologischer Be­griff, der Rabbiner ein Geistlicher, der Prediger ein Seel­sorger, Überlieferung etwas Zeitbedingtes und darum Wandelbares, dasdie Zeit auch wieder aufzuheben ver­mag. In diesem Sinne äußerte er sich in der Wiesbadener Rabbinerversammlung (1837), welche auf seinen Antrag be­schloß,daß die Gebräuche und Sitten, welche einer früheren Zeit und einem andern Klima entstammen, in unseren Tagen störend in das Leben eingreifen, in ihrer Richtigkeit dargestellt und von allen Rabbinern, welche Eifer mit gutem Willen und Bildung verbinden, als suspendiert erklärt werden sollen. Seinen Ideen suchte er in seinerWissen­schaftlichen Zeitschrift für jüdische Theologie einen weiten Resonanzboden zu verleihen und durch sein Wort die Ver­irrten, Zweifelnden, Glaubenslosen wieder um das Banner eines neuen, lebensvollen Judentums zu scharen. Geigers Bedeutung für das Judentum liegt in seinem Streben ,das ganze Denken und Handeln des jüdischen Menschen unter Anknüpfung an das Historischgewordene nicht bloß im Gottesdienst, sondern ganz allgemein auf den Ton eines zeitgemäßen Fortschritts zu stimmen.

Im Einklang mit Geiger erklärte der FrankfurterVerein der Reformfreunde:Wir erkennen in der mosaischen Re­ligion die Möglichkeit einer unbeschränkten Fortbildung der Talmud hat für uns weder in dogmatischer noch in