Schwieriger gestaltete sich die Ordnung der Gottesdienstverhältnisse.
Die begeisternden Predigten des Rabbiners Dr. Michael Sachs hatten das religiöse Leben der Gemeinde aus seiner jahrzehntelangen Erstarrung geweckt. Sowohl die (Alte) Synagoge als auch eine Interimssynagoge, Große Hamburger Straße 11*), war immer so dicht mit Andächtigen gefüllt, daß sich der Bau einer zweiten Gemeindesynagoge als eine Notwendigkeit erwies. Ein Baugelände ward gefunden. Die Regierung genehmigte seinen Ankauf — da stiegen in dem 1850 gewählten Vorstande Bedenken auf: es könnte etwa die Gebetsordnung des Beerschen Tempels in das geplante Gotteshaus übernommen werden! Vielleicht genügt ein Erweiterungsbau der Alten Synagoge —?
Fünf Jahre vergingen.
Der religiös-liberale Gedanke hatte sich in der Gemeinde so verankert, daß eine neue Repräsentantenwahl in durchaus reformfreundlichem Sinne ausfiel. Tatkräftig traten die neuen Körperschaften an die Verwirklichung des Tempelbaues heran, indem sie eine Anleihe von 300000 Talern aufnahmen. Am 17. Mai 1859 wurde der Grundstein gelegt. Infolge der Kriege von 1864 und 1866 verzögerte sich der Bau. Am 5. September 1866 fand die Einweihung dieser „Neuen Synagoge“ statt, die mit ihren anmutigen, leichten Säulen, den zierlichen Rundbögen und farbenreichen Arabesken den Zeitgenossen als eine „moderne Alhambra“ erschien. Um der vaterländisch gesinnten, geachteten Berliner Gemeinde einen sichtbaren Beweis ihres Wohlwollens zu geben, nahmen Staats- und Stadtbehörden an der Tempelweihe teil, vor allem das gesamte Staatsministerium, Bismarck an der Spitze. Rabbiner Dr. Aub hielt die Weihepredigt.
*) An diesem Tempel wirkte der von 1855—1882 in Liegnitz amtierende, gleichfalls bedeutende Kanzelredner Rabbiner Dr. Moritz Landsberg.