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Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
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Nach dem Kriege hielt die Zunahme der jüdischen Be­völkerung in Berlin mit dem Anwachsen der nicht jüdischen Einwohnerzahl gleichen Schritt. Doch schien ihnen die Spe­kulationswut der Gründerzeit als zu gewagt, um ihrer Lok- kung zu erliegen und sauer erworbenes Gut einzubüßen. Demgemäß finden wir den Juden zwar unter der Opfern, d. h. den kleinen Sparern, nicht aber unter den Großkapita­listen. Der Name eines getauften Juden, Dr. Strous- berg (der bei übereilten Eisenbahnbauten im In- und Aus­lande Unsummen aufs Spiel setzte), genügte der Umwelt, umdie Juden für den Spuk der Gründerzeit die glück­licherweise kaum dreiviertel Jahre währte verantwortlich zu machen.

Die allgemeine Unzufriedenheit wirkte sich in einer Steigerung der sozialdemokratischen Stimmenzahl für den Reichstag aus. Als nun im Frühjahr 1878 ruchlose Hände dem Kaiser nach dem Leben trachteten, riefen nationale Männer zum Kampf gegen die sozialistische Bewegung auf. In einer der vielen Versammlungen mit dem Hofprediger Stöcker als Redner löste ein ZwischenrufDie Juden einen solchen Beifallssturm aus, daß Stöcker diesen Ruf als zün­dende Parole für weitere Kämpfe freudestrahlend aufgriff. Raus mit den Juden! scholl es jetzt von Berlin in die Pro­vinzen hinaus. Die judenfeindliche Bewegung feierte ihre ersten Triumphe.

Der Milliardensegen, den die französische Kriegsent­schädigung über Deutschland ausschüttete, hatte in vielen Kreisen eine bis dahin nicht gekannte Gier nach Geld her­vorgerufen. Jedoch bald grinste statt Reichtums und mühe­losen Genußlebens das Gespenst des Hungers aus den fensterlosen Schwindelbauten.

Armut überall. Da war es die Jüdin , Lina Morgenstern die der Not durch Errichtung von Volksküchen in den ver­schiedensten Stadtteilen zu steuern suchte. Die Kaiserin

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