Augusta widmete diesem Liebeswerk ihre besondere Fürsorge. Unermüdlich waren jüdische Damen bei der Herrichtung und Verteilung der Speisen tätig. Auch als Ende der siebziger Jahre Oberschlesien von einer Hungersnot heimgesucht wurde, zu der sich eine Typhusepidemie gesellte, stellten die Berliner Juden ihre Kräfte in den Dienst großzügiger sozialer Arbeit.
Inzwischen begann Berlin sich zum Handelszentrum des neuen Deutschen Reiches zu entwickeln. Auf mancherlei Gebieten, z. B. im Metall- und Getreidewesen, übernahmen Juden vielfach die Führung. Auch Tausende von Nichtjuden erwarben in diesen Betrieben ihr Brot. Da das Krankenkassen- und Alterversorgungswesen noch nicht angebaut war, fanden die Angestellten in Fällen der Not bei ihrem Chef immer Verständnis und Hilfe. Unter dem Wahlspruch „leben und leben lassen“ waren alle Beteiligten zufrieden. Über „Ausbeutung“ wurden nur in seltenen Fällen Klagen laut. Fälle von starker Inanspruchnahme der angestellten Kräfte wurden nicht der einzelnen christlichen oder jüdischen Firma, sondern „den Juden“ zur Last gelegt — ein Grund mehr, die Aufhebung der Gleichberechtigung zu verlangen.
Ebenso stand es mit den Klagen über den — keineswegs vorhandenen — jüdischen Einfluß auf literarischem Gebiete. Scheffel, Dahn, Gutzkow, Freytag, C. F. Meyer, Gottfried Keller, Geibel, Freiligrath waren Nichtjuden; Paul Heyse war Sohn einer jüdischen Mutter; Georg Ebers stammte vom Münzmeister Veitel Ephraim ab; Berthold Auerbach und Julius Rodenberg {dessen „Deutsche Rundschau“ im In- und Auslande Verständnis für deutsche Kunst und Dichtung weckte), waren Juden. Jawohl, es erschienen „Judenblätter“, d. h. reinjüdische Wochenschriften, die „Allgemeine Zeitung des Judentums“, anfangs von einem Leipziger Buchhändler unter Kreuzband versandt (1837 bis
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