„Offiziell“ blieb die Pflege der jüdisch-kulturellen Güter den drei Gemeindesynagogen, dem Tempel der Reformgemeinde, der Lehrerbildungsanstalt, den beiden Mittelschulen, und der (damals einzigen) Religionsschule überlassen. Zur Alten und Neuen Synagoge war 1869 der Tempel Kaiserstraße — eine Stiftung des Kommissionsrats Josef Lehmann — hinzugekommen (am 29. November 1881 übernahm ihn die Gemeinde).
Das religiöse Interesse, welches Geigers Wirksamkeit im Schoße der Berliner Judenheit geweckt hatte, flaute nach seinem Tode (1874) ab. Dazu kam, daß sie sich über ihre Zukunft in Sicherheit wiegte. Sie erfreute sich völliger Gleichberechtigung — wozu brauchte sie da noch Religion?
Weder an den städtischen noch an den staatlichen Schulen wurde jüdischer Religionsunterricht erteilt. Große Teile der Elternschaft legten keinen Wert mehr darauf, daß die Kinder die Kette der jüdischen Überlieferung weiterspinnen: mochten sie doch, herangewachsen, eine ihnen zusagende Religion selber wählen! Alle Menschen sind Brüder — oder werden es — was bedarf es da noch der Enge eines Bekenntnisses, noch dazu eines so „unmodernen“, wie des jüdischen?
Infolge solcher Selbsttäuschung ging ein großer Teil der damals heranwachsenden Generation dem Judentum verloren. Nicht immer durch Übertritt zur Landeskirche, sondern durch Teilnahmlosigkeit gegenüber jüdischen Belangen. Unauflöslich fühlte man sich der Umwelt verbunden! Aus Sentimentalität, aus Pietät gegenüber den Traditionen des frommen Elternhauses, vor allem aus lieber Gewohnheit — denn die vertraut gebliebenen Melodien wollte man nicht missen — besuchten die Berliner Juden an den hohen Feiertagen die Synagogen und die vielen Betsäle.
Immer schon war das Kunstinteresse der Berliner Juden groß. Zumal für Musik. Der Stern „Richard Wagner“ ging