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Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
Entstehung
Seite
307
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Überall Wohlwollen, Entgegenkommen, Kameradschaft­lichkeit.

Und dennoch.

Je erfreulicher die Berichte über das Zusammenleben der Krieger aller Bekenntnisse an der Front lauteten, desto schmerzlicher empfanden die Juden die Mißstimmung, die mit der zunehmenden Verschlechterung der Siegesaussichten gegen sie erwuchs. In die Erscheinung trat sie, als sich bei der Revolte von 1918 auch einige Juden in die Arena des politischen Lebens wagten.

Unter dem Elend der Kriegs- und ebenso der Nach­kriegszeit litten die Juden nicht weniger als ihre nicht­jüdischen Mitbürger. In dieser Not, welche sogar den Be­stand ganzer Gemeinden in Frage stellte, erwies sich der Landesverband (vgl. S. 281) als Retter. Ohne seine ideelle und materielle Unterstützung wäre manche mittlere und kleine Gemeinde auch in der Mark Brandenburg zu­grunde gegangen. Wie bisher widmeten sich junge Juden den kaufmännischen und den akademischen Berufen. Der Ruf einsichtsvoller Kreise, junge Leute möchten sich lieber dem Handwerk und der Landwirtschaft widmen, verhallte ungehört. Der höhere Beamtenstand schien weit bessere Aussichten zu bieten. Für jedes angebliche Talent war die Bahn frei. Die von Berlin aus durch Gründung land­wirtschaftlicher Siedlungen eingeleitete Überführung der Juden in die Landwirtschaft fand trotz deren gedeih­licher Entwicklung bei den jüdischen Massen nicht den erhofften Anklang. Langsam tastete sich auch bei den Stadt­juden die Freude an der Natur und an der Einfachheit des Landlebens an, als die Jugendbewegung die jungen Juden mit der Scholle in Berührung brachte und in ihnen den Sinn für Landarbeit, Schlichtheit und Kameradschaft weckte. Eine Generation blühte heran, die von Hochmut, Standes­dünkel und Geltungsbedürfnis nichts mehr wußte.