günstig. Aber ach, es war ein trügerischer Glanz. Es war ein Kartenhaus. Jäh stürzte es unter dem Sturmwind der staatlichen Neuordnung von 1933 zusammen.
Unvorbereitet standen die Juden dem Ausschluß aus einer für unauflöslich gehaltenen Volksgemeinschaft gegenüber. Dieser spontane Zusammenprall zweier in sich getrennter Welten, ja Zeitalter, mußte sie mit der Wucht eines Naturereignisses treffen. Der bisherige Weg war versperrt, die wirtschaftliche Existenz gefährdet. Und dennoch. Nach vorübergehender Lähmung führte der schwere Schlag zur Selbstbesinnung, zur inneren Sammlung, zur Läuterung. Viele Juden entdeckten jetzt erst für sich den Kulturkreis, in den die Ausgliederung sie verwies.
Ganz aufeinander angewiesen, schlossen sich die Angehörigen des Gottesvolkes zusammen. Sie hungerten förmlich nach dem Judentum. Sabbate und Feiertage sahen wieder dichtgefüllte Synagogen. Jüdische Bräuche wurden in längst entfremdeten Kreisen geübt, die sie nur noch vom groß- elterlichen Hause her kannten. Der Berliner Gemeindevor- stand (Vorsitzender: Heinrich Stahl, seit 1931), verdoppelte seine Kräfte, um den Ansturm neuer Aufgaben zu bewältigen. Da galt es, die Berufsumschichtung zu fördern, Auswanderungsmöglichkeiten zu erschließen, Existenzen aufrechtzuerhalten, allenthalben wirtschaftliche und seelische Not zu lindem.
Das geistige Leben nahm einen ungeahnten Aufschwung. Kurse — hauptsächlich zur Erlernung des Neuhebräischen — fanden starken Zuspruch, trat doch das Heilige Land in den Vordergrund des jüdischen Interesses. Auf Alt und Jung übten jüdische Geschichte und Literatur Anziehungskraft aus. Zu ihrer Pflege rief die Gemeinde ein „Lehrhaus“ ins Leben, dem zionistische Kreise ein „Bialik-Lehrhaus“, die Orthodoxie ein „Rambam-Lehrhaus“ beigesellten. Die
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