60
legenheit sprechen müsse, daß er aber warten wolle bis das Gebet beendet sei. Da der Fremde die Nacht hindurch gereist war, setzte ihm die Rabbinertn im Vorzimmer einen Imbiß vor, der auch dankend angenommen wurde. Inzwischen hatte sich die Kunde von dem seltenen Gast im ganzen Orte verbreitet. Ein Schwager des Rabbi warf einen Blick in den vor dem Hause wartenden Wagen und sah, daß darin Hand- und Fußfesseln lagen. Jetzt war über den Zweck dieses ungewöhnlichen Besuches kein Zweifel mehr. Durch eine Seitentür trat der Schwager zu dem betenden Rabbi und unterrichtete ihn von dem Vorfall mit der dringenden Mahnung, sofort die Flucht zu ergreifen.
„Das werde ich nicht tun", entgegnete Rabbi Salman. „Ich weiß, daß ich nichts getan habe, was meine Einkerkerung rechtfertigt. Jeder Fluchtversuch, auch wenn er gelingen sollte, würde voraussetzen, daß ich mir irgend eines Unrechtes bewußt sei. Diesen Gedanken will ich nicht aufkommen lassen. Es kann sich nur um eine Verdächtigung seitens unserer Gegner handeln. Wir wollen einmal sehen, was eigentlich vorliegt. Bleibe du im Zimmer neben an und lasse die Türe ein wenig offen, damit du über alles unterrichtet bist. Sobald ich selber weiß, was man mit mir vor hat, werde ich meinen Entschluß fassen."
Bei diesen Worten öffnete der Rabbi die Tür des Vorzimmers und ließ den hohen Militär eintreten. Dieser entschuldigte sich, daß er