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hohen Feiertage am Anfang des Jahres dort verbringe. „Und das ganze lange Jahr hindurch", fragte ich, „betet Ihr allein ohne Minjan (die zum gemeinsamen öffentlichen Gebet erforderliche Zehnzahl) und hört niemals Kaddisch und Ked- duscha,' wie ist das für einen frommen Mann möglich?" „Ich empfinde selbst das Unerträgliche dieses Zustandes am meisten", erwiderte mein Wirt, „aber was soll ich tun? Ich habe hier mein gutes Auskommen, während ich in der Stadt nicht wüßte, wie ich mich ernähren sollte." „Das wißt Ihr nicht?" entgegnete ich ihm. „Gott, der in der Stadt hundert jüdische Familien ihre Nahrung finden läßt, wird auch noch für eine Familie mehr zu sorgen wissen. Das ist kein Grund für Euch, Euer Leben hier zu verbringen."
Nach dieser Unterredung zog ich mich in mein Zimmer zurück. Eine halbe Stunde später hörte ich Wagen aus der Remise Vorfahren und sah, wie man sie bepackte. Ich fragte einen der jüdischen Arbeiter, was dies zu bedeuten habe und dieser sagte mir, sein Herr habe die Absicht, noch heute seine hiesige Wohnung aufzugeben und in die Stadt zu ziehen. Und der Mann hat diesen Vorsatz ausgeführt. Was er an Geld und sonstigen Wertsachen hatte, nahm er mit. Sein Vieh ließ er Tags darauf Nachkommen. Am zweiten Tag kam er wieder zurück und verkaufte sein Haus, mit dem ganzen Wirtschaftsinventar und den großen Futterbeständen zu einem sehr mäßigen Preis. In der Nacht nach dem Ver-