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nichtcn suchten. Außer der religiösen Pflicht hat der Raw daher noch ein persönliches Interesse, sich dem Kaiser erkenntlich zu zeigen. Dieser Gedanke beherrschte damals das ganze Streben und Denken des Raw und bet seinen festen, abgeklärten Lebensgrundsätzen, die von keinem Wechsel der Zeit beeinflußt werden, ist das gewiß auch heute noch bei ihm so. Aber ich in meiner Beschränktheit glaubte damals, daß das Wohlwollen, das der Czar dem Raw erwiesen, sich bei letzterem zu einer Art fixen Idee verdichtet habe, aus deren Gesichtswinkel er alles sehe und beurteile, als er zu mir sagte:
„Im Westen ist ein blutig roter Stern auf- gezangen, der immer höher steigt und für die ganze Welt Tod und Verderben bedeutet. Ich meine Napoleon Bonaparte, der die ganze Welt in eine französische Provinz umwandeln möchte und dessen verbrecherischer Ehrgeiz keine Schranke kennt. Er stürzt nicht nur Throne und Altäre, er reißt auch das Gottesbewußtsein aus den Herzen der Menschen. Rußland ist der einzige Staat in Europa, der bis jetzt noch seine Selbstständigkeit bewahrt hat. Er allein ist berufen, den blutdürstigen Eroberer zu Fall zu bringen und dazu müssen wir alle mithelfen. Habt Ihr mich verstanden?"
„Nicht ganz, Rabbi", entgegnete ich. „Wir Jehudim sollen die Hand dazu bieten, Napoleon zu Fall zu bringen? Das verstehe ich nicht. Er mag sein wer er immer will, aber wir Juden haben doch alle Ursache, uns seiner zu freuen