Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
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Einleitung.

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schauungen wegschreitend entwickelt. Es ist gar nicht zu leugnen, dass der Arzt, wenn er sich an das That­sächliche hält und streng der Erfahrung folgt, jede Theorie entbehren kann, indessen trüben falsche The­orieen doch auch seinen Blick vielfach, und noch mehr wird der Laie, den die Erfahrung nicht belehrt hat, in alle seine Raisonnements über Geistesstörungen etwas Schiefes mit seiner mitgebrachten Theorie hineintragen. Für den Arzt, ja den der Naturforschung Beflissenen schlechtweg, liegt es nahe, einen Ausweg im Materia­lismus zu suchen, d. h. zu sagen: Es giebt überhaupt nur im Raume Bewegliches, Materie, auch der Mensch ist nur Materie, und was ihr Geist oder Seele nennt, das ist eine Function, eine Absonderung der Mterie,a oder eigentlich nur eine Redensart. Thatsächlich hat sich ja der Materialismus seit den Tagen der Ency­clopädisten bis zu unseren Tagen mehr und mehr ausgebreitet und hat die Fachkreise regirt, wenn auch vielfach nur als verhüllter König. DieGebildeten jedoch im Allgemeinen hielten und halten an einem mehr oder weniger modernisirten Spiritualismus und damit an dem Influxus physicus fest. Unter Influxus physicus versteht man, dass die Materie Veränderungen des Geistes und der Geist Veränderungen der Materie bewirke. Zwischen der Absurdität des Materialismus einerseits und der Absurdität des Influxus physicus andererseits schwankt heute die Masse der Gebildeten hin und her. Nur Wenige begreifen, dass Klarheit allein durch Loslösen von der in der Sprache fixirten Auffassung des naiven Verstandes zu gewinnen ist,