Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
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Einleitung.

oder eines anderen Organs, etwa Stockungen im Unter­leibe oder eine falsche Blutmischung. Goethe wird sich um diesen Streit nicht gekümmert haben. Er war unwillkürlich Psychiker, wie es für einen Dichter natürlich ist. Der Wahnsinn ist ihm die Wirkung oder eigentlich der höchste Grad der Leidenschaft. Im Sinne des Dichters ist Einer um so mehr wahrer Mensch, je stärker er empfindet. Der leidenschaftliche Mensch ist der eigentlich Gesunde, gerade ihm aber droht die Gefahr des Wahnsinns. Eben deshalb hat der Dichter Interesse am Wahnsinne und sozusagen Respect vor ihm. Wie könnte ihn eine Geisteskrank­heit anziehen, deren Ursache eine ansteckende Fieber­krankheit wäre? Macht nicht die unglückliche Liebe oder Kummer, Sehnsucht wahnsinnig, so ist der Wahn­sinn dichterisch überhaupt nicht brauchbar.

In Wirklichkeit liegen die Dinge freilich anders. Man muss zwei Gruppen geistiger Krankheiten unter­scheiden, solche, deren Hauptbedingung eine Ein­wirkung von aussen ist, und solche, deren Hauptbe­dingung die von vornherein krankhafte Beschaffenheit des Menschen ist. Dort handelt es sich um die Wir­kung von Bakterien-Krankheiten oder von chemischen Giften, und Jeder kann erkranken, der das Unglück hat, der krankmachenden Ursache genügend ausgesetzt zu sein. Hier wächst die Krankheit aus dem Inneren des Menschen heraus, und ihre sogenannten Ursachen sind nur Anstösse, deren Beschaffenheit unwesentlich ist. Unter den exogenen Krankheiten ist, abgesehen vom Alkoholismus, nur eine von grosser Häufigkeit