Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
Seite
17
Einzelbild herunterladen

Die endogenen Geisteskrankheiten.

und Wichtigkeit, die fortschreitende Gehirnschrumpfung, die sogenannte Gehirnerweichung(Dementia paralytica). Sie aber war zu Goethes Zeit noch unbekannt und wahrscheinlich selten. Bekanntlich hat sie erst Ibsen auf die Bühne gebracht. Die endogenen Geisteskrank­heiten bilden die Hauptmasse, sie sind von Alters her bekannt, und an sie denkt der Dichter, wenn er vom Wahnsinne spricht. Ihre Hauptbedingung ist, wie ge­sagt, eine abnorme Reaction, d. h. in der Hauptsache die angeborene, ererbte Abweichung von der normalen Art, oder die Entartung. Je grösser die Entartung, um so grösser die Wahrscheinlichkeit der ausgesprochenen Krankheit und um so kleiner die Stärke des krank­machenden Anstosses. Bei einem gewissen Grade der Entartung erscheint der Mensch auch dem unge­übten Auge als eine von vornherein krankhafte Natur, und die gewöhnlichen Reize des Lebens genügen, ihn zu Vvollkommener Geisteskrankheit hinüberzuführen. Bei geringerer Abweichung von der Art kommt es auf die Gestaltung des Lebens an, ob der Gefährdete glücklich durchkommt, oder unterliegt. Hier nun spielen die Erschütterungen des Gemüths, Kummer, Sorge, Schreck, Angst, Ueberanstrengung, Schlaflosig­keit, eine wichtige Rolle, denn sie sind am häufigsten Ursache der Aufhebung des labilen Gleichgewichtes. Die Leidenschaften freilich, von denen die Dichter mit Vorliebe sprechen, sind weit häufiger Zeichen der mitgebrachten Instabilität und Vorläufer der Erkran­kung als Ursache. DieLeidenschaftlichkeit ist nicht eine Eigenschaft des gesunden Menschen. Bei diesem

Möbius, Werke II. 2