Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
Seite
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Historisches über Irrenpflege.

keit und die Unreinlichkeit in den alten Verhältnissen, so begreift man, dass ein Tollhaus für einen Ort des Jammers galt, den ein zart fühlender Mensch vermied, sofern nicht seine Pflicht ihn zum Besuche nöthigte. Will man gerecht sein, so muss man sagen, die alte Zeit war vielfach besser, als sie uns erscheint, und jenes abschreckende Bild war nicht überall zu finden. Das Schlimmste. prägt sich aber am meisten ein, und deshalb ist man geneigt zu glauben, man habe die Geisteskranken überall früher schlecht be­handelt oder misshandelt, während es doch nur an manchen Orten geschehen ist. Man sagt z. B. heute oft: Pinel nahm zuerst den Geisteskranken die Ketten ab, als ob sie überall in Ketten gelegen hätten, und die Ver­hältnisse überall so miserabel gewesen wären wie im Bicetre in Paris. Wahrscheinlich hat man schon zu Goethes Zeiten die guten oder besseren Irrenhäuser über den die Mehrzahl bildenden schlechten vergessen und den Abscheu vor diesen auf alle übertragen.

Es schien mir von Interesse zu sein, mich nach den wirklichen Irrenverhältnissen in Goethes Umgebung zu erkundigen. Ueber die Frankfurter Zustände fand ich in einem Buche von Dr. J. H. Faber Aufschluss (Topographische, politische und historische Beschrei­bung der Reichs-, Wahl- und Handelsstadt Frankfurt am Mayn. 1788)) Die Schilderung Fabers ist ein

*) Goethe scheint Faber nicht gekannt zu haben. Wenig­stens wird das Buch nicht unter denen genannt, die Goethe sich kommen liess, als er über Frankfurt in seiner Biographie schrieb.