Einleitung.
In Jena wandte er sich wieder der Anatomie zu. Bei alledem ist jedoch nicht anzunehmen, dass Goethe auf diesem Wege etwas über Psychiatrie erfahren habe. Damals war noch mehr als jetzt eigentlich nur der leibliche Mensch Gegenstand der Medicin, mit dem seelischen mochten sich Philosophen und Geistliche beschäftigen. An den Universitäten wurde Psychiatrie überhaupt nicht gelehrt. Bekanntlich hat erst die allerneueste Zeit den Universitäten psychiatrische Kliniken gebracht. Der erste klinische Lehrer der Psychiatrie war für Deutschland Heinroth in Leipzig. Er war 1773 geboren, wurde 1811 ausserordentlicher, 1827 ordentlicher Professor. Der alte Goethe hat ihn gekannt, hat auch, wie schon aus seinem Aufsatze über die „bedeutende Fördernis durch ein einziges geistreiches Wort“ hervorgeht, seine Anthropologie gelesen.*) Aber abgesehen davon, dass Goethes Werke in der Hauptsache vor dieser Bekanntschaft erschienen sind, so ist es doch recht zweifelhaft, ob Goethe sich mit den psychiatrischen Lehren Heinroth’s näher bekannt gemacht habe.
Der Widerwille gegen die Tollhäuser lässt zwar nicht vermuthen, dass: Goethe aus Liebhaberei Bücher über Geisteskrankheiten gelesen habe, indessen hat er doch Einiges gelesen. An Reil schreibt er im
*) Im Frühjahr 1822. Goethe tadelt H. wegen seiner theologischen Färbung, lobt aber die vielen Vorzüge des Werkes. Eine kurze Anzeige der Anthropologie Heinroths gab Goethe 1825(Werke. Cottasche Ausgabe von 1851. XXVI. S. 309). Am 15.9.1827 erhielt Goethe den Besuch Heinroth’s.