Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
Seite
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Die Bedeutung vonWahnsinn,

Das Wort Wahnsinn ist von den Irrenärzten in sehr verschiedenem Sinne gebraucht worden; Goethe benutzt es wie die Laien meistens, als gleichbedeutend mit Geisteskrankheit überhaupt, was schon daraus hervorgeht, dass er bei Lila eben sowohl wie bei den Cretins von Wahnsinn spricht. Im Sept. 1775 schreibt er an Lavater, er habe gesternein bissgen über die vier Wahnsinnigen und Brutus geklimpert[d. h. an den Beiträgen für Physiognomik geschrieben]. Wie auch heute die Leute der Gemüthskrankheit die Geistes­krankheit gegenüberstellen, bei jener nur an krankhafte Verstimmung denken, im Begriffe dieser aber das Irre­sein ausdrücken, so scheint auch Goethe als wesent­liches Merkmal des Wahnsinnes Wahnvorstellungen (Grillen) zu betrachten. Wahnwitz scheint bei Goethe dasselbe zu bedeuten.

v. Müller berichtet(13. 6. 1825):Vom Wahnsinn gab er die einfache Definition, dass er darin be­stehe, wenn man von der wahren Beschaffenheit der Gegenstände und Verhältnisse, mit denen man es zu thun habe, weder Kenntniss habe, noch nehmen wolle, diese Beschaffenheit hartnäckig ignorire. Auf jeden Fall ist die Definition nicht so richtig wie einfach.

Narrheit ist theils Albernheit schlechtweg, theils, im prägnanten Sinne, Wahnsinn mit Albernheit oder Schwachsinn mit Wahnvorstellungen. Gelegentlich wird mit Narrheit die Geisteskrankheit überhaupt be­zeichnet, wie man auch Narrenhaus oder Tollhaus sagte, meist aber ist im Begriffe des Narren das schwach­