Werther soll eine pathologische Figur sein,
durch die adelstolze Gesellschaft beleidigt, wirft sein Amt weg, kehrt zu der inzwischen verheiratheten Geliebten zurück, verzehrt sich in hoffnungsloser Liebe und erschiesst sich schliesslich.
Goethe war sich ganz klar darüber, dass Werther eine pathologische Figur sei. Er schrieb schon seiner eigenen Leidenschaftlichkeit wiederholt einen pathologischen Charakter zu und wusste, dass eben die Thatsache der Umkehr ihn sozusagen rehabilitirt hatte, gezeigt hatte, dass die Gesundheit in ihm das Uebermächtige war. Indem er Werther unterliegen liess, liess er das Pathologische siegen. Werther schildert sich selbst:„Wie oft lull ich mein empörtes Blut zur Ruhe; denn so ungleich, so unstet hast Du nichts gesehen als dieses Herz. Lieber! Brauch ich Dir das zu sagen, der Du so oft die Last getragen hast, mich vom Kummer zur Ausschweifung und von süsser Melancholie zur verderblichen Leidenschaft übergehen zu sehen. Auch halte ich mein Herzchen wie ein krankes Kind; jeder Wille wird ihm gestattet.“„Meine Leidenschaften waren nie weit vom Wahnsinn.“ Lotte warnt Werther, er werde an dem zu warmen Antheil, den eran allem nehme, zu Grunde gehen. Gegen das Ende hin heisst es:„Lieber Wilhelm ich bin in einem Zustande, in dem jene Unglücklichen gewesen sein müssen, von denen man glaubte, sie würden von einem bösen Geiste umhergetrieben. Manchmal ergreift mich’s; es ist nicht Angst, nicht Begier— es ist ein inneres unbekanntes Toben, das meine Brust zu Zzerreissen droht, das mir die Gurgel zupresst! Wehe! Wehe!
Möbius, Werke II.