Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
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haben, noch Auffassungen, die der Zeit vorauseilen. Vielmehr versetzt uns das Stück, dessen Vorbild vor 1650 entstanden ist, in eine veraltete Denkart. Die Vorstellung, dass man Geisteskranke durch Eingehen in ihre Wahnvorstellungen heilen könne, fand freilich auch noch zu Goethes Zeit Zustimmung bei den Aerzten, wie denn Reils Rhapsodieen auf ihr beruhen, jedoch waren schon damals einzelne wissenschaftliche Irren­ärzte von der Erfolglosigkeit solcher Versuche überzeugt. Immer hat diese Vorstellung für das Publicum grosse natürliche Anziehungskraft gehabt. Die meisten Ge­bildeten mögen heute wie zu Goethes Zeit von der Möglichkeit der Vorgänge inLila überzeugt sein.*) Ich erinnere mich, dass mir in meiner Jugend ein gebil­deter und gelehrter Mann erzählte, man habe einen Geistes­kranken von dem Wahne, eine Schlange in sich zu tragen, dadurch befreit, dass man eine Blindschleiche in das durch ein Brechmittel Entleerte practicirte. Sicherlich ist der Glaube an diese Art von Heilwirkungen nicht ohne Grund gewesen. Man wird auf diese Manier einzelne Kranke von krankhaften Vorstellungen befreit haben, nur dass diese Kranken keine eigentlichen Geistes­kranken waren, sondern Hysterische. Wollte man die Heilung Lilas retten, so müsste man aus Lila eine Hysterische machen. Zur Noth vertrüge sich diese

*) Im Jahre 1816 bemerkt Goethe, das Theater habe zwei der Lila ähnliche Stücke, nemlichNina[wahrscheinlich die Oper von Dalayrac] undDie Schweizerfamilie[von Weigl]. Beyde sind auch psychische Curen eines durch Liebesverlust zerrütteten Gemüths.

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