Goethe als Psychotherapeut.
Ueberlastung. Schliesslich liess er sich Plessings Schreiben an Goethe vorlesen und erkannte, während er dabei Plessing} physiognomisch beobachtete, als Grundzug„beschränkte Selbstigkeit“. Der Landschaftmaler; setzte nun auseinander, in Goethes Kreise gelte es als ausgemacht, dass man sich aus einem schmerzlichen, selbstquälerischen, düsteren Zustande nur durch Naturbeschauung und herzliche Theilnahme an der äusseren Welt retten könne. Man sei überzeugt, dass die Richtung geistiger Kräfte auf wirkliche und wahrhafte Erscheinungen allmählich Behagen, Klarheit und Belehrung gewähre. Dann schilderte Goethe seine Beobachtungen der Natur auf der Reise durch das Gebirge mit glühenden Farben. Nachdem er sich auf diese Weise angestrengt und seine dichterische Kraft verschwendet hatte, erklärte Plessing mit aller Bestimmtheit, es könne und solle ihm nichts in der Welt genügen. Da fühlte Goethe sein Inneres sich zuschliessen, er schied unerkannt und überliess den Unglücklichen seinem Schicksale.*)
Wir sehen also Goethe hier als Seelenarzt auftreten. Weil seine eigene starke Natur sich an der Wirklichkeit aufgerichtet hatte, glaubte er, man brauche dem Kraftlosen nur den Weg zu zeigen, vergass, dass dem Gelähmten gute Wege nichts helfen. In ähnlicher Weise mag Goethe manchmal den„Seelenleiden“ entgegen
*) Uebrigens ist es mit Plessing(20. 12. 1752 bis 6, 2. 1806) später besser gegangen, und er ist ein brauchbarer Mann geworden, war seit 1780 in Königsberg als Lehrer thätig, starb als Professor in Duisburg.
Möbius, Werke I,