Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
Seite
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IV. Faust.

Im Faust hat uns nur die Verwirrtheit Gretchens zu beschäftigen. Ihr Vorbild ist bekanntlich die Geistes­krankheit der Ophelia. Die Erkrankung ist bei Gret­chen besser motivirt als bei Ophelia, da bei jener nicht nur Erschütterungen des Gemüthes vorausgegangen sind, sondern auch Schwangerschaft und Wochenbett. Doch darf man wohl kaum annehmen, dass Goethe an einen solchen Zusammenhang gedacht habe, wenn man auch den Geisteszustand der Kindesmörderinnen, die Zustände von Verwirrtheit bei manchen von ihnen zu Goethes Zeit wiederholt besprochen hat. Goethe häuft auf Gretchen soviel Kummer, dass nach all­gemeiner Auffassung ihre Geistesverwirrung überreich­lich motivirt ist: Angst und Gewissensbisse wegen ausserehelicher Schwangerschaft, Missachtung der Um­gebung, besonders die Schmähungen des Bruders, Tod der Mutter durch eigene Schuld, Tod des Bruders durch den Geliebten und somit indirect durch eigene Schuld, Flucht des Geliebten, Mord des eigenen Kindes, Gefangenschaft und Todesfurcht. Hans Lähr hat die