ungeeignete Ausdrücke: Goethe fühlt nicht wie ein christlicher Sünder, und Orest auch nicht.
Inwieweit Goethe bei dem Orest seiner Iphigenie an sich gedacht habe, das ist natürlich schwer zu sagen. Die Hauptsache ist denn doch, dass er die Figur aus Euripides übernahm. Orest hat die Mutter erschlagen, weil er dazu genöthigt war. Hinterher treten die natürlichen Folgen einer solchen Greuelthat ein: die innere Qual. Nun ist er verzweifelt und sagt: Ich habe gethan, was ich thun musste, und werde doch so entsetzlich gequält. Das ist der Fluch der Götter. So wird es sich im Grunde Euripides gedacht haben, und so fasst es auch Goethe. Aber während bei dem Griechen die inneren Antriebe und Wirkungen zu befehlenden Göttern und Eumeniden werden, anschaulich und packend wirken, musste Goethe den Vorgang psychologisiren, und dadurch verliert in gewissem Sinne die Sache.*) Ist Goethes Orest krank? Gewiss! Bei Goethe ist Leidenschaft von Krankheit nicht grundsätzlich verschieden: Ein gequälter Mensch wie Orest ist andauernd gemüthskrank, und die Anfälle sind nur Steigerung seines Leidens zu überwältigender Verzweiflung. Die Verzweiflung kann thatsächlich zu Einengung des Bewusstseins, zu hypnotischen Zuständen mit Sinnes
*) Schiller schreibt am 22. 1. 1802 an Goethe:„Orest selbst ist das Bedenklichste im Ganzen; ohne Furien ist kein Orest, und jetzt da die Ursache seines Zustandes nicht in die Sinne fällt, da sie bloss im Gemüth ist, so ist sein Zustand eine zu lange und zu einförmige Qual, ohne Gegenstand. Hier ist eine
von den Grenzen des alten und neuen Trauerspiels.‘“