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Die Krankheit des Orest.
täuschungen führen. Wenn also Goethe Orests Anfälle mit Bewusstlosigkeit und Hallucinationen einhergehen lässt, so verlässt er das Gebiet der Leidenschaft nicht; für ihn ist Orests Krankheit nur Leidenschaft und doch wirkliche Krankheit.
Wir dürfen demnach in dem wahnsinnigen Orest nicht das Bild eines wirklichen Geisteskranken suchen. Gewiss lag Goethe nichts ferner, als sich zu fragen, ob die Symptome und der Verlauf bei seinem Orest einer Krankheit im Sinne der Aerzte entsprechen möchten.
Goethe schildert den Orest als dauernd krankhaft verstimmt mit anfallartigen Steigerungen des Uebels. In seinem gewöhnlichen Zustande ist er von seinen Schmerzen niedergedrückt, aber vollkommen besonnen und von ruhiger Haltung. Er sagt von sich, dass ihm eine Götterhand das Herz zusammendrücke, den Sinn betäube, dass er geheimen Schmerz und Tod im Busen trage, er wünscht, dass ein Gott von seiner schweren Stirn den Schwindel nehme. Er ist ruhelos: um der Blutschuld willen treibt die Furie gewaltig ihn umher. Die Eumeniden sind die Immerwachen, d. h. sie lassen ihm Tag und Nacht keine Ruhe. Ueber die Entstehung des Uebels erfahren wir von Orest selbst folgendes:
„Wie gährend stieg aus der Erschlagenen Blut Der Mutter Geist
Und ruft der Nacht uralten Töchtern zu: „Lasst nicht den Muttermörder entfliehn! Verfolgt den Verbrecher! Euch ist er geweiht!““