Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
Seite
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Des wirklichen Tasso Paranoia.

seinem Zimmer Katzen und Gespenster, Dämonen und Heilige zu finden. Auch zeigte sich bei ihm die be­merkenswerthe Erscheinung der einander widersprechen­den Hallucinationen; bald glaubte er sich von einem Teufelskobold geplagt, der ihm auflauerte und ihm die Sachen aus den Händen nahm, bald erschien ein guter Geist in leuchtender Jünglings-Gestalt, der tiefsinnige Ge­spräche führte. In Antonio Montecatino sah Tasso seinen Feind und Verderber, das Haupt seiner Verfolger. In einer Denkschrift an den Herzog von Urbino hat er 1578 seine Verfolgungen geschildert, diese Schilderung wollte er abschriftlich verbreiten lassen. Tasso war entschieden gemeingefährlich. Im Jahre 1577 glaubte er in einem Diener einen Spion der Inquisition zu erblicken und fiel ihn mit einem Dolche an, Damals bestrafte ihn der Herzog von Ferrara nur mit einigen Wochen Stubenarrest. Im Jahre 1579 aber sah sich der Herzog veranlasst, Tasso in das Annenhospital bringen zu lassen, und dort hielt er ihn dann 7 Jahre lang fest. Nach seiner Entlassung zog Tasso ruhelos in Italien umher, hielt sich meist in Klöstern auf, erduldete Noth und Armuth, starb 1595 zu Rom.

Goethes Schilderung nun ist so gerathen, dass man sagen könnte, hier wird mit grosser Feinheit und mit Sachkenntniss ein Kranker, der an beginnender Paranoia leidet, beschrieben. Ein von vornherein wunder­licher Mensch zeigt sich mehr und mehr mit der Welt zerfallen; zwar weiss er sich noch für gewöhnlich zu beherrschen, in Zuständen der Erregung aber wirft er den Schleier ab und entblösst sozusagen den im