Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
Seite
135
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Ottilie in den Wahlverwandtschaften.

X. Wahlverwandtschaften, Wanderjahre und kleinere Erzählungen.

In den hier zusammengefassten Werken aus Goethes Alter spielen Geisteskranke keine grosse Rolle, dagegen finden wir hier ziemlich häufig das Wunderbare. Die uns als wunderbar erscheinenden Ereignisse und Eigen­schaften sind nach allgemeinem Zeugnisse in der Wirk­lichkeit immer an mehr oder weniger pathologische Persönlichkeiten geknüpft. Auch Goethe betont wieder­holt das Pathologische dabei, und dies berechtigt uns dazu, diese Dinge hier zu besprechen.

In den Wahlverwandtschaften ist Ottilie eine pathologische Persönlichkeit. Sie erinnert in mancher Hinsicht an Mignon: zarte Körperbeschaffenheit, vor­wiegendes Gemüthsleben, einseitige Begabung. Sie leidet an halbseitigen Kopfschmerzen und tödtet sich schliesslich durch Verhungern wie Sperata. Zum ersten Male erwähnt Goethe bei Ottilie die Wahrnehmung bestimmter Bestandtheile des Erdbodens durch ver­änderte körperliche Zustände. Ottilie liebt es nicht,