Der Sinn des Wunderbaren.
Die bisherigen Erörterungen über Goethes Diämonenlehre haben zu keiner Klarheit geführt und es ist auch nicht abzusehen, wie man weiter kommen sollte.
Aber über das Wunderbare im Allgemeinen liesse sich etwa folgendes sagen, und vielleicht würde Goethe diese Darstellung nicht ganz abgelehnt haben. Es ist nur Schein, dass wir vollkommen getrennte Individuen sind. Wie wir in materieller Auffassung nur Theile eines Systems sind, die Materie durch uns hindurchtritt, materielle Bewegungen ungehindert durch das Ganze ziehen, so sind wir auch in geistiger Beziehung in ein Ganzes eingepflanzt und nehmen an seinem Leben theil, leben und handeln als seine Organe. Im normalen oder Durchschnitt-Zustande merken wir von unserer thatsächlichen Verbindung unter einander und mit dem Ganzen nichts, in gewissen pathologischen Zuständen aber und auch beim Genie reißen sozusagen für Augenblicke die uns umhüllenden Wolken, es kommt zu einem Handeln und Erleiden ungewöhnlicher Art, der Einfluss des für uns Unbewussten ausser uns wird fühlbar. So kommen die Eigenschaften und Ereignisse zu Stande, die wir je nach ihrer Erscheinung bald als wunderbar, bald als dämonisch zu bezeichnen geneigt sind. Sie fallen ebenso wie das Gewöhnliche in den gesetzlichen Zusammenhang der Dinge, es liegt Nur an unserer Unkenntniss, dass wir ihre gesetzlichen Beziehungen nicht verstehen.
Möbius, Werke II.