Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
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Die Eigenschaften der Eltern im Kinde.

ist doch so viel richtig, dass von einer klugen Frau kluge Söhne, von einer dummen dumme Söhne stammen, dass der Sohn eines braven, tapfern, aus­dauernden Mannes ähnliche Eigenschaften zu haben pflegt, dass feige, lügnerische, boshafte Männer ihnen entsprechende Söhne haben. Eine reinliche Trennung lässt sich freilich nicht durchführen, denn gehört die Lebhaftigkeit des Empfindens z. B. zum Willen oder zum Intellect? Andere lehren, dass Söhne vorwiegend der Mutter gleichen, Töchter dem Vater. Auch das ist richtig, muss aber mit Schopenhauers Lehre ver­knüpft werden derart, dass wir bei dem Sohne ge­wisse moralische oder Charakter-Eigenschaften des Vaters zu erwarten haben, vielfach aber seine Geistes­art der der Mutter ähnlich sein werde, dass umgekehrt bei der Tochter die Natur des Vaters mit Charakter­Eigenthümlichkeiten der Mutter versetzt sein werde. Das Weitere liegt freilich ganz im Dunkeln. Bei der Entstehung eines Menschen tritt etwas völlig Neues ein: Zwei Keimstoffe, wie sie in gleicher Weise ein­ander noch nie getroffen haben, liefern ein Ergebniss, das noch nie dagewesen ist. Wir haben ja keine Ahnung davon, wie beide aufeinander wirken; da mögen ihre Eigenheiten bald Hemmungen bewirken, bald vervielfachend wirken; die complicirteste chemi­sche Gleichung ist ein Kinderspiel gegen dieses Ex­periment. Auch müssen Beschaffenheit und Wirkungs­art der Keimstoffe nach den Zeitumständen verschieden sein, ausserdem sind die einzelnen Keime offenbar zur selben Zeit verschieden, da sonst die oft weitgehende

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