Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
Seite
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Die Familie.

anders als die des Sohnes, und die Stirn ist mehr nach vorn gebaut. Andererseits besteht zwischen dem Bilde des Rathes von Melchior und den Bildern des alten Dichters trotz aller Verschiedenheit ausgesprochene Verwandtschaft, besonders nach Stirn, Nase, Wange.

Als Eigenschaften des Vaters werden genannt: ernste Beharrlichkeit und Gediegenheit, die sich in dem grössten Lehr- und Lerneifer, in strenger Ord­nungsliebe, gepaart mit Gewissenhaftigkeit, in Rück­sichtslosigkeit gegen sich selbst, in Bedürfnisslosigkeit

und eiserner Selbstzucht äusserte. Es ist ersichtlich, dass dieselben Tugenden am Sohne gerühmt werden dürfen. Beim Vater wurden sie getrübt durch eine gewisse Beschränktheit, die ihn als pedantisch, eigen­sinnig, gegen die Familie rücksichtlos, engherzig er­

scheinen lassen konnte. Das Auffallendste ist dem Sohne gegenüber das phantasielose nüchterne Wesen des Vaters. Dabei muss der Mann gut befähigt ge­wesen sein, was durchaus mit den Angaben über seine vortreffliche Mutter stimmt. Goethes Vater ist oft zu hart beurtheilt worden. Er war durchaus ein liebevoller Vater, der nach besten Kräften für die Sei­nigen sorgte. Dass er nicht von Anfang an im Sohne den Genius respectirte, das kann man ihm doch nicht zum Vorwurfe machen, denn wie sollte er wissen, was hinter den von ihm wahrgenommenen Eigen­schaften des Jünglings, die auch einen anderen Vater bedenklich gemacht hätten, in Wahrheit steckte?*) Der

*)In den folgenden 2 Bänden bildet sich die Gestalt des